Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Gleichheit ist Glück
Provoziert Sie die Überschrift? Wenn ja, ist das gut. Denn genau das muss die SPD wieder tun: Debatten provozieren und Konflikte eingehen. Das haben wir in den letzten zehn Jahren viel zu wenig getan. Im Gegenteil: Je schlechter die Umfragen wurden, desto ängstlicher wurden wir. Wir wollten allen ein bisschen von allem bieten, aber niemanden erschrecken, keinen verprellen, keinesfalls anecken. Das Risiko, noch mehr Wähler zu verlieren, schien zu groß. Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt. Aber jetzt ist sie auch zu Ende.
Mit dem Konzept „Sozialstaat 2025“hat die Erneuerung begonnen. Die Abschaffung des HartzIV-Systems, die Einführung einer Grundrente und die Grundsicherung gegen Kinderarmut sind der Anfang. Die SPD sammelt sich für einen neuen Aufbruch. Wir werden wieder die Verteilungsfrage stellen. Denn wer über Gerechtigkeit nicht reden will, muss auch vom Fortschritt schweigen. Führen die Digitalisierung und die Energiewende zu mehr Wohlstand und Lebensqualität? Oder sind sie die Rahmenhandlung einer gesellschaftlichen Abstiegssaga? Das ist noch längst nicht ausgemacht. Viel wird davon abhängen, wie wir heute unsere Wohlstandsgewinne erwirtschaften und verteilen. Bisher machen wir es falsch.
Deutschland ist zu einem Land der Ungleichheit geworden. In keinem Land der Euro-Zone sind die Vermögen so einseitig verteilt wie bei uns. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besitzen die 45 reichsten Deutschen mehr Vermögen als die Hälfte der übrigen Bevölkerung. Die besitzt nämlich überhaupt keines. Dafür leben 15 Prozent der Deutschen an der Armutsgrenze. Während die Zahl der Millionäre in den letzten zehn Jahren um fast 60 Prozent gestiegen ist, stagniert die durchschnittliche Kaufkraft der Arbeitnehmer auf dem Niveau der frühen neunziger Jahre. Die Hälfte von ihnen musste sogar Kaufkraftverluste hinnehmen.
Dabei ist Ungleichheit nicht per se ungerecht. Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen. Aber mit Leitungsgerechtigkeit hat das Ausmaß der sozialen Ungleichheit in Deutschland nichts mehr zu tun. Die Dosis macht das Gift.
Zu große Ungleichheit ist teuer. Sie kostet Einkommen, Nachfrage und Wachstum. Die OECD schätzt, dass aufgrund der gewachsenen Einkommensungleichheit die deutsche Wirtschaftsleistung heute sechs Prozent geringer ist als sie sein könnte. Vor allem erzeugt sie Konflikte. Sie saugt aus einer Gesellschaft die Kraft, die sie bräuchte, um aus Wandel Fortschritt zu machen.
Beispiel Energiewende: Wer das Ende des Monats mehr fürchtet als das Ende der Welt, wird neue Verbrauchssteuern oder Nebenkosten nicht einfach hinnehmen, ganz gleich welche ökologische Lenkungswirkung sie haben mögen. Warum auch? Der Lebensstil des oberen Drittels der Gesellschaft beansprucht bis zu zehn Mal so viel CO2 wie jener des unteren. Damit wäre dann auch gesagt, wer die finanzielle Hauptlast der Energiewende tragen müsste. Ich möchte, dass am „friday for future“die Leistungsträger unserer Gesellschaft – Pflegerinnen, Reiniger, Erzieher und Facharbeiterinnen – sich an der Seite unserer Schülerinnen und Schüler wähnen, nicht auf der Gegenseite.
„Gleichheit ist Glück“ist nicht nur eine Provokation. Es ist die zugespitzte Quintessenz wissenschaftlicher Studien über den Zusammenhang von ökonomischer Ungleichheit und Lebensqualität. Die Ökonomen Richard Wilkinson und Kate Pickett haben sie in ihrem gleichnamigen Bestseller zusammengetragen. Ihre statistischen Befunde sind eindeutig: In Ländern mit geringer Ungleichheit sind die Lebenserwartung länger, das Bildungsniveau höher und die Kriminalitätsrate niedriger. Und nicht nur das: Wo sich soziale
„Ungleichheit ist nicht per se ungerecht. Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen. Die Dosis macht das Gift“