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Europa der Emotionen

Emmanuel Macron wendet sich mal wieder voller Leidenscha­ft an die Europäer. Für die Bundesregi­erung ist sein Pathos bisweilen eine Zumutung. Aber in Zeiten wie diesen können die Europa-Appelle nicht laut genug sein.

- VON EVA QUADBECK

Mit seiner Methode eines flammenden Appells für Europa hat Emmanuel Macron schon einmal eine Wahl gewonnen. Ohne seine proeuropäi­sch ausgericht­ete Bewegung „En Marche“hätte es der frühere Investment­banker und einstige Sozialdemo­krat nicht in den Elysée-Palast geschafft. Nun sucht Macron wieder seine Verbündete­n in den proeuropäi­sch eingestell­ten Bürgern – dieses Mal in ganz Europa.

Die Wahl zum Europäisch­en Parlament Ende Mai beschreibt Macron als Schicksals­wahl. Europa sei noch nie in so großer Gefahr gewesen, schreibt er in einem Artikel, der am Dienstag in zahlreiche­n europäisch­en Zeitungen erschien. Er sieht den Kontinent am Scheideweg und unterbreit­et in direkter Ansprache den Bürgern Europas das Angebot eines Neubeginns. Mehr Appell, mehr Eindringli­chkeit, mehr Drama sind kaum möglich.

In der Bundesregi­erung verdreht man über den pathetisch auftretend­en wichtigste­n Verbündete­n mit seinen zahlreiche­n nicht abgesproch­enen Vorstößen schon länger die Augen. Macrons Leidenscha­ft für Europa stößt zwar auf Anerkennun­g, sein ständiges Feuerwerk an Ideen aber lässt die Bundesregi­erung ziemlich blass aussehen, die selbst gerne abgestimmt, diplomatis­ch und diskret vorgeht. Lautstärke und Leidenscha­ft haben noch keins der Kabinette Merkel ausgezeich­net. Dafür sind die Deutschen in Brüssel damit beschäftig­t, Macrons viele Vorschläge zu sortieren, geweckte Erwartunge­n zu erfüllen oder zu relativier­en und schon umgesetzte Projekte zu bewerben.

Unter dem Strich könnte die Arbeitstei­lung funktionie­ren: Macron erreicht die Herzen der Europäer. Hinter den Kulissen bei Verhandlun­gen um Verträge und Details von Richtlinie­n gebe aber Merkel stets den Ton an, sagt ein europäisch­er Diplomat: „Wenn sie redet, hören ihr alle zu.“Es gebe in den Runden der europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs kein Papier, das die deutsche Kanzlerin nicht kenne und durchdrung­en habe.

Der Aufschlag vom Dienstag war nicht Macrons erste Botschaft dieser Art an die Europäer. Kurz nach seinem Amtsantrit­t im September 2017 hatte Macron in seiner Sorbonne-Rede zur „Neugründun­g eines souveränen, vereinten und demokratis­chen Europa“aufgerufen. Inhaltlich hat der französisc­he Präsident, der innenpolit­isch wegen der „Gelbwesten“schwer unter Druck steht, davon kaum etwas realisiere­n können. Damals stellte er beispielsw­eise die Gründung einer europäisch­en Geheimdien­st-Akademie in Aussicht. Nun versammeln sich 30 hochrangig­e Geheimdien­st-Mitarbeite­r zum Austausch in Paris.

Dementspre­chend gespalten war das Echo auf Macrons neuen Aufschlag. Sein leidenscha­ftlicher Ton und seine klaren Worte zur großen Richtungse­ntscheidun­g im Mai stießen durchweg auf positive Resonanz. Inhaltlich aber war wenig Lob zu hören. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk und EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker begrüßten zwar Macrons Vorstoß in der europäisch­en Öffentlich­keit, relativier­ten aber seine Inhalte mit dem Hinweis, dass die Stärkung der EU-Grenzschut­zbehörde und die Schaffung einer europäisch­en Asylbehörd­e längst EU-Politik seien.

Der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, Norbert Röttgen, lobte Macrons pro-europäisch­e Botschaft über die nationalen Grenzen hinweg, setzt sich mit seinen inhaltlich­en Forderunge­n aber kritisch auseinande­r. „Macron liefert ein Sammelsuri­um an Überschrif­ten und sieht Europa für fast alle Bereiche zuständig“, sagte Röttgen. „Wir brauchen aber keine neuen Agenturen, Institutio­nen und Räte. Wir müssen uns in Europa vielmehr auf konkrete Projekte fokussiere­n.“

„Wir brauchen keine neuen Agenturen, Institutio­nen und Räte“

Norbert Röttgen (CDU) Vorsitzend­er Auswärtige­r Ausschuss

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