Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Ich dachte: schnell weg hier“
Drei Menschen sterben nach Schüssen in einer Straßenbahn in Utrecht. Die Polizei fasst den Tatverdächtigen am Abend.
UTRECHT (dpa) Es ist gespenstisch still in Utrecht. Auf dem Platz des 24. Oktober im Westen der Großstadt stehen zwei gelbe Straßenbahnen. Still, wie Mahnmale. „Geen Dienst“steht auf dem Hinweisschild an ihrer Vorderseite geschrieben, „außer Dienst“. In einer Bahn waren am Montagmorgen um 10.45 Uhr Schüsse gefallen, drei Menschen starben, fünf wurden verletzt, drei davon schwer. „Dort bei der Tram lag sie“, sagt ein Mann mit einem Fahrrad und zeigt auf die gelbe Straßenbahn. „Da lag eine Tote, unter einem weißen Laken.“
Knapp acht Stunden lang bangen die Menschen in Utrecht. Ein Terroranschlag wird nicht ausgeschlossen, der mutmaßliche Täter ist zunächst auf der Flucht. Keiner weiß, ob nicht noch ein Anschlag folgt. Es herrscht höchste Alarmstufe in der Provinz. Bürger sollen die Häuser nicht verlassen. Dann gegen 18.30 Uhr die Entwarnung: Die Polizei hat den Hauptverdächtigen festgenommen. Über sein Motiv wird weiter gerätselt. Noch immer wird Terrorismus nicht ausgeschlossen. Aber zugleich gibt es auch Hinweise, dass der Angriff eine Beziehungstat sein könnte. Der Verdächtige, ein 37-jähriger türkischstämmiger Mann, hat ein langes Vorstrafenregister.
Der Mann habe gezielt auf eine Frau geschossen, schildert der junge Niederländer Niels der Zeitung „De Gelderlander“seinen Eindruck. Drei, vier Männer wollten der Frau helfen, und dann schoss der Täter erneut, so erinnert sich Niels. „Er zielte auf die Leute, die versuchten, der Frau zu helfen.“Auch Daan Molenaar saß in der Straßenbahn, in der der Täter das Feuer eröffnete. Molenaar war in den vordersten Teil der Bahn gestiegen, wie er im niederländischen Radio erzählt. „Das war mein Glück.“Auf einmal habe die Bahn gestoppt. Zuerst habe er nicht kapiert, was los sei. Die Türen seien noch geschlossen gewesen. Und dann habe er die Frau gesehen. Zunächst habe er an einen Unfall gedacht, dann hätten ein paar Leute die Frau weggetragen, und erst dann habe er den Mann mit der Pistole gesehen. „Ich dachte: schnell weg hier.“Als die Türen der Straßenbahn aufgegangen seien, seien die Passagiere herausgerannt. Man habe erneut Schüsse gehört. „Wie in einem amerikanischen Western.“Stunden später. Mit rot-weißen Bändern hat die Polizei den Platz und die Wohnviertel abgesperrt. Auf den Straßen der sonst gemütlichen Studentenstadt ist es ungewöhnlich ruhig. Kaum ein Fahrrad ist zu sehen, nur wenige Menschen sind unterwegs. Die Polizei fordert die Bürger auf, in ihren Häusern zu bleiben, bis der mutmaßliche Täter
gefasst sei. Schulen und Büros schließen die Türen. Über dem Viertel kreisen die Hubschrauber der Polizei.
Das Ehepaar De Groot steht am Wohnzimmerfenster seines Reihenhauses. Beide schauen auf das Grauen auf dem Platz vor ihrem Vorgarten. „Schrecklich“, stammelt die ältere Dame. Sie war durch die Sirenen der Polizei aufgeschreckt worden, wie sie durch die verschlossene Haustür sagt. „Wir machen nicht mehr auf, wir haben Angst.“In einem nahe gelegenen Hotel lässt Manager Reint van Rooij die Tür nur noch von Hand öffnen. „Vorsichtsmaßnahme, auf Anraten der Polizei“, sagt er. Die meisten Gäste hatten am Morgen bereits ausgecheckt, als die Schüsse gefallen waren.
Das Stadtviertel Kanaleneiland, in dem die Schüsse fielen, ist häufig als sozialer Brennpunkt aufgefallen. „Es ist furchtbar für die Opfer und die Familien“, sagt van Rooij. „Was auch immer es war, Terror oder nicht.“Linda aus Groningen sitzt im Café des Hotels. „Ich hätte in der Straßenbahn sitzen sollen“, sagt sie. Wegen eines Streiks am Morgen war sie später als geplant in Utrecht angekommen. „Da war die Bahn schon weg.“