Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der weiße Obama
Redegabe, Charisma, Talent zum Spendensammeln – der Demokrat Beto O’Rourke aus Texas will Amerikas neuer Präsident werden.
WASHINGTON Es ist für einen kantigen Mann wie Beto O’Rourke eine erstaunlich heimelige Kulisse. Wohnzimmeratmosphäre, Plüschkissen, alte Möbel. Neben seiner Frau Amy sitzt er auf einem Sofa, die biedere Kulisse steht im Kontrast zu seinen dramatischen Worten. Die Herausforderungen seien nie größer gewesen als heute, sagt der Politiker. Mit der Videobotschaft aus dem Wohnzimmer stoppt O‘Rourke ein Karussell der Spekulationen, das sich dreht, seit er in Texas zwar eine Senatswahl verlor, aber doch knapper, als man es bei einem Demokraten für möglich gehalten hatte. Seither wollten seine Anhänger wissen, ob er sich fürs Oval Office bewerbe. Die Frage hat er jetzt beantwortet.
Leichtgefallen ist ihm die Entscheidung nicht. Neulich saß er anlässlich der Premiere eines Dokumentarfilms im Kino. Er handelte davon, was es für seine Familie bedeutete, dass er fast zwei Jahre abwesend war, ununterbrochen auf Wahlkampftour in Texas. O’Rourke hat drei Kinder, acht, zehn und zwölf Jahre alt. Ihren Vater werden sie auf absehbare Zeit kaum zu Gesicht bekommen, und falls er die Vorwahlen der Demokraten gewinnt, dauert der Ausnahmezustand bis November 2020. Es erinnert an Barack Obama, den Senkrechtstarter, und dessen Töchter. Und noch etwas lässt an Obama denken: sein Redetalent. O’Rourke ist in der Lage, aus dem Stegreif druckreife, poetische Sätze zu drechseln. Sein Thema ist der Charakter Amerikas, das Selbstverständnis einer Einwanderernation, die sich nicht durch eine Mauer abschotten dürfe. Zudem vermittelt er das Gefühl, Brücken über politische Gräben brauen zu können. Aufbruchstimmung. Kein Wunder, dass manche den 46-Jährigen schon jetzt den weißen Obama nennen.
Sein Eintritt in das Rennen hat das Kandidatenfeld der Demokraten so gut wie komplettiert. O’Rourke gehört auf Anhieb zum Kreis der Favoriten. Es hat nicht nur mit seinem Charisma zu tun, sondern auch damit, dass er sich aufs Spendensammeln versteht – eine Voraussetzung, um die teure Wahlwerbung finanzieren zu können. 80 Millionen Dollar haben ihm Spender, zumeist Kleinspender, im Laufe des texanischen Senatsduells gegen den Republikaner Ted Cruz zukommen lassen. In den ersten 24 Stunden seiner Kampagne für die Präsidentenwahl 2020 hat O’Rourke jetzt schon rund 6,1 Millionen Dollar eingesammelt.
Forderungen wie jene nach einer staatlichen Einheitskrankenkasse oder einer Vermögensteuer trägt der Texaner nicht mit. O’Rourke verlangt ein Verbot des Verkaufs von Schnellfeuergewehren, einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde und eine Einwanderungsreform, die illegal in den USA lebenden Migranten einen Weg in die Legalität ebnen soll, hin zur Einbürgerung.
Im Wettstreit mit Cruz hat er sämtliche 254 Countys des „Lone Star State“besucht. Man könne zu jedem einen Draht finden, wie bei einem Rockkonzert vor anfangs skeptischem Publikum, sagte O’Rourke, der einst in einer Band Punkrock spielte. Aufgewachsen in El Paso, hat er an einer teuren Internatsschule gelernt und an der prestigeträchtigen Columbia University in Manhattan studiert. In New York betreute er den Nachwuchs wohlhabender Eltern, transportierte Gemälde, in El Paso gründete er eine IT-Firma. 2005 wählten ihn die Bürger seiner Heimatstadt in die Gemeindeverwaltung, 2012 ins Repräsentantenhaus.