Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Wir haben zu viele Feindbilder“
Für den Mainzer Bischof muss Kirche sich bewegen – und muss darum auch über die Berufung von Frauen ins Weiheamt reden.
Vor zwei Jahren wurde Peter Kohlgraf als Nachfolger von Karl Kardinal Lehmann (1936-2018) zum Bischof von Mainz ernannt. Der 52-jährige, gebürtige Kölner zählt zu den reformorientieren Bischöfen innerhalb des deutschen Episkopats.
Das Ostergeschehen ist voller Extreme: Es reicht in nur wenigen Tagen mit dem Einzug Jesu in Jerusalem von Hosianna bis zur Erschütterung durch den Tod am Kreuz und die Auferstehung. Fehlt der Kirche der Gegenwart eine solche Emotionalität und Bewegtheit?
KOHLGRAF Na ja, bewegt scheint mir die Zeit im Augenblick schon zu sein. Wobei der Vergleich des Schicksalsweges der Kirche mit dem Lebensweg Jesu nach meinem Geschmack etwas hinkt.
Dennoch herrscht damals wie heute die Ungewissheit, wie es jetzt eigentlich mit dem Glauben weitergehen soll. Ein Grundton der Unsicherheit bestimmte damals wie heute das Empfinden.
KOHLGRAF Natürlich, diese Unsicherheit ist da. Und parallel gibt es beide Erfahrungen: die der Dunkelheit – wobei anders als zur Lebenszeit Jesu die Kirche heute die Dunkelheit selbst verschuldet hat. Aber natürlich gibt es in der Kirche heute auch österliche Erfahrungen, dass nämlich die Gemeinschaft der Gläubigen stärkt und hilft. Aber ich würde mir mehr österliche Bewegung und Glaubensbegeisterung wünschen.
Ist Bewegung und Wandel für die Kirche grundlegend?
KOHLGRAF Eigentlich hat sich Kirche immer bewegt. Wir dürfen keine Kirche sein, die nur noch aus der Vergangenheit lebt. Im Moment aber kann keiner so richtig abschätzen, wohin sich Kirche und Gesellschaft in der Zukunft entwickeln.
Gehört zur Bewegung auch der Mut, einen Schritt zu wagen, von dem man nicht wissen kann, wohin er führt und ob er überhaupt richtig ist? Anders gefragt: Muss man manchmal auch den Mut haben, Fehler zu machen?
KOHLGRAF Grundsätzlich gebe ich Ihnen recht. Aber für mich als Bischof ist es oft schwer zu erkennen, wo ein mutiger Schritt tatsächlich notwendig wäre.
Wie mutig kann und darf ein Bischof in seinen Entscheidungen sein?
KOHLGRAF Ich erlebe es als Bischof schon, dass ich manchmal zwischen den Stühlen sitze. Wenn ich mit Jugendlichen etwa über die Rolle der Frau in der Kirche diskutiere und die jungen Menschen die jetzige Situation als höchst ungerecht empfinden, dann kann ich das emotional nachvollziehen. Und ich sehe doch auch, dass meine theologischen Argumente wie die apostolische Sukzession einen jungen Menschen heute nicht mehr wirklich überzeugen. Das nehme ich wahr und spüre bei mir auch eine gewisse Sprachlosigkeit. Meine Sorge ist, dass wir uns mit der Tradition, die ich als Bischof verkörpere und für die ich als Bischof mit meinem Amt stehe, von einem Teil des Gottesvolkes entfernt haben. Es gibt Spaltungen, die ich als Bischof – ehrlich gesagt – so leicht nicht mehr überbrücken kann. Wir müssen uns dann auch fragen, ob die theologischen Diskussionen, die wir führen, wirklich noch die Themen der Menschen sind.
Wie groß ist die Gefahr, dass Glaube zur Ideologie wird?
KOHLGRAF Die Gefahr besteht, dass Kirche, Verkündigung und Theologie zur Ideologie werden, wenn sie nicht mehr offen ist zum Gespräch und möglicherweise auch berechtigte Gegenpositionen nicht mehr wahrnehmen. Und das erkenne ich manchmal schon.
Bei welchen Positionen?
KOHLGRAF Oft erlebe ich, dass Gruppen oder auch einzelne Personen anderen das Katholisch-Sein oder den wahren Glauben absprechen, selbst dem Papst oder dem Bischof, weil sie anderer Meinung sind. Das konnte man etwa an der Diskussion über das Schreiben „Amoris Laetitia“von Papst Franziskus sehen. Mit einem derartigen Vorwurf ist jede Brücke abgebrochen. Auch in der Kirche haben wir zu viele Feindbilder und sind schnell mit einem abschließenden negativen Urteil über Lebensweisen anderer Menschen zur Hand. Pauschale Urteile werden aber komplexen Situationen oft nicht gerecht. Das gilt auch für manche Bereiche, in denen Menschen nicht nach dem kirchlichen Ideal leben.
Wie schafft es die Kirche, mit ihrer ja wirklich revolutionären Botschaft des Evangeliums wieder stärker wahrgenommen zu werden? Mit Kirche verbinden viele vor allem sexuellen Missbrauch. Das begann vor 20 Jahren und wird auch in den kommenden Jahren wohl kaum anders sein. KOHLGRAF Die Kirche darf sich nicht mehr selbst verkünden, sondern muss die Botschaft verkünden. Das Ostergeschehen ist natürlich eine tolle Botschaft: Dass ich an einen Gott glaube, der sich nicht scheut, zu uns zu kommen, mit uns zu gehen und der ewiges Leben verheißt. Dann wird Kirche ein Instrument für diese Botschaft. Sie ist selbst aber kein Element der Verkündigung. Unser allererstes Betreben sollte darum nicht sein, dass bald die Kirche wieder gut dasteht. Es geht darum, die Botschaft glaubwürdig zu verkündigen.
Müsste man dann nicht auch überlegen, ob die jetzige Form der Kirche überhaupt noch die geeignete ist? Oder gibt es vielleicht auch andere Formen, die der Botschaft und der Verkündigung angemessener wären?
KOHLGRAF Ich glaube schon, dass die Kirche nicht einfach nur ein Verein ist, den man heute abschaffen und morgen einen neuen gründen kann. Kirche ist auch ein Sakrament. Sie soll auf Christus verweisen und Christi Gegenwart feiern. Aber es gibt in der Tat viele Stellschrauben, an denen wir drehen müssen.
Welche sind das?
KOHLGRAF Etwa in Fragen der Gewaltenteilung und der Machtkontrolle – zum Beispiel in der externen Kontrolle von Finanzen haben wir derartiges bereits. Auch das ist ein Stück Abgabe von Macht, und die ist sehr heilsam.
Hat Jesus die Kirche so gewollt, wie sie ist?
KOHLGRAF Natürlich hat sich Kirche auch historisch entwickelt. Die Frage ist ohnehin,
ob Jesus Kirche überhaupt gegründet hat in dem Sinne, wie wir sie jetzt kennen. Dieses Faktum hat sich nach Ostern entwickelt. Dass es so etwas gibt wie eine Gemeinschaft der Glaubenden, ist auch geistgewirkte Tradition. Welche der Formen von Kirchen aber unveränderbar sind, darüber wird ja kontrovers diskutiert.
Über welche Formen konkret?
KOHLGRAF Beispielsweise die nach den Fragen des Amtes, nach der Berufung von Frauen und Männern. Es gibt unterschiedliche Positionen dazu, was zur konkreten Gestalt der Kirche eigentlich gehört; also was veränderbar ist und was nicht.
Wenn man über Ostern redet, muss man auch über die Bedeutung von Maria von Magdala reden und ihrer Bedeutung für die Kirche. Schließlich gilt sie als die soenannte Apostolin der Apostel. Dennoch gibt es immer noch kein Weiheamt für Frauen ...
KOHLGRAF Dass sie die erste Zeugin der Auferstehung war, ist für mich erst einmal ein ganz starker Beleg für die Wirklichkeit der Auferstehung. Sie zeigt mir aber auch, dass die Glaubensweitergabe und das Zeugnis nicht nur auf die reine apostolische Tradition des Amtes reduziert werden kann.
Ist die erste Zeugin und Apostolin in diesem Sinne nicht auch ein starker Impuls, über das Weiheamt für Frauen in der katholischen Kirche nachzudenken?
KOHLGRAF Wenn wir über ein Weiheamt für Frauen reden, kommen wir an der Apostolin der Apostel sicher nicht vorbei. Auch in den Evangelien wird davon berichtet, dass Frauen Jesus nachfolgen; also nicht nur die zwölf Jünger. Ihre Rolle ist eine sehr starke. Warum die Kirche deshalb in ihren Anfängen nie die Konsequenz gezogen hat, daraus ein Amt der Frau abzuleiten, ist aus heutiger Sicht schwer verständlich und mündet schließlich in die Frage, ob dies nun historisch zufällig oder geistgewirkt ist. Zumindest in der frühen Kirche hat es so etwas wie ein Diakoninnenamt gegeben.
Sie haben mal in einer Predigt gesagt, dass Gott kein lieber Gott sein muss, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Wo war Gott Ostern?
KOHLGRAF An Ostern ist Gott massiv erfahrbar: Gott war am Kreuz. Dass Gott diesen Tod mitgeht und sagt, ich erleide das mit euch, ist eine Tat, die unsere Vorstellungskraft übersteigt. Auch für Jesus war Gott nicht der liebe Gott, sondern einer, nach dem man ruft und schreit. Wenn ich die Not der Menschen etwa in Syrien sehe, dann ist ihre Situation auch die Situation des Karfreitags. Dann kann ich nicht einfach von einem lieben Gott sprechen, wohl aber von einem liebenden Gott, der dabei ist.
LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW MIT BISCHOF KOHLGRAF.