Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Feind im eigenen Land
Eine liberale Elite-Universität ist zum Hassobjekt der Anhänger von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán geworden – und die Studenten zum Ziel ihrer Angriffe.
BUDAPEST Tibor Racz rauchte gerade eine Zigarette vor dem Gebäude der Central European University (CEU) in Budapest, als ein Fahrradfahrer vor ihm anhielt. Der Mann begann ihn zu beschimpfen als „Söldner“, „Soros-Sklave“, „Feind Ungarns“. Eszter Szedlacsek hatte ein ähnliches Erlebnis im Internet, als unter einem ihrer Facebook-Einträge plötzlich der Kommentar: „Soros-Sklavin“auftauchte.
Als die 24-Jährige vor einigen Jahren noch Studentin der staatlichen Corvinus-Universität in Budapest war, galt das Kürzel „CEU“als Verheißung für ehrgeizige junge Menschen wie sie. Die 1991 von dem US-Milliardär George Soros gegründete Privatuniversität vergab Stipendien an besonders Begabte. Wer die CEU meist mit amerikanischem Abschluss verließ, dem standen die besten Jobs offen. Szedlacsek lässt sich von Racz Feuer geben. Er ist mit seinen 37 Jahren so etwas wie ein Spätberufener an der Eliteuniversität. Racz trägt unter einem blauen Kapuzenpullover ein schwarzes T-Shirt mit einem roten Panther. Bevor die CEU ihn aufnahm, arbeitete er als Investigativreporter für die liberale Wochenzeitung „hvg“und als Ungarn-Korrespondent für die deutsche „tageszeitung“. Beide Studenten sollten dem Selbstverständnis der CEU nach einmal Führungskräfte in der Wirtschaft, der Verwaltung oder den Medien Ungarns werden. Szedlacsek sagt dazu nur: „Ich haue ab aus diesem Land, das steht fest“.
Der Zufall hat es noch gut gemeint mit Szedlacsek und Racz. Beide werden im Sommer ihren Abschluss machen. Die CEU wird wohl schon wenig später ihren Lehrbetrieb nach Wien verlegen müssen. Die ungarische Regierung erließ 2017 ein Gesetz, das bald „Lex CEU“genannt wurde. Es gestattet ausländischen Universitäten den Betrieb in Ungarn nur noch, wenn es auch eine Dependance im jeweiligen Heimatland gibt. Die CEU fand zwar das Bard College im US-Bundesstaat New York als Partneruniversität und erfüllte damit die neue Bedingung. Die Orbán-Regierung weigerte sich aber, das Abkommen zu ratifizieren. Die CEU verkündete daher im Dezember ihre Schließung in Budapest.
Szedlacsek und Racz berichten von einem Klima der Furcht auf dem Campus. Die Zuversicht, zu den Besten zu gehören, sei Angst gewichen. Schlagen Studenten die Zeitungen auf, sehen sie zum Beispiel ihre Professoren wie Verbrecher auf Fahndungsfotos aufgelistet. „Das sind die Soros-Söldner“lautet die passende Schlagzeile. Dem Hass im Internet entzieht sich Eszter Szedlacsek, indem sie soziale Medien meidet, wo es nur geht. Tibor Racz sagt, dass er als Journalist und Angehöriger der Roma-Minderheit in Ungarn schon lange gelernt habe, auf Internet-Trolle und den Irrsinn ihrer Tiraden mit Humor zu reagieren.
Racz und Szedlacsek haben unterschiedliche Erklärungen, warum die ungarische Regierung eine für sie kostenlose Eliteuniversität aus dem Land ekelt. „Zum einen mögen sie nicht die Art von Führungskraft, die hier ausgebildet wird. An der CEU lernen wir, lieber alles doppelt zu prüfen, bevor wir etwas glauben. Viele Absolventen haben sich als Journalisten oder Menschenrechtler gegen die Regierung gestellt“, sagt Racz. Verschwinde die CEU, verliere nicht nur Ungarn, sondern ganz Mitteleuropa eine Schmiede, in der ein kritischer Geist geformt werde, warnt er.
Aber noch wichtiger sei: Viktor Orbáns Regierung lebe davon, gegen Feinde zu mobilisieren. Erst waren die Post-Kommunisten Ungarns Übel. Als die Sozialistische Partei MSZP am Boden lag, habe die Fidesz die muslimischen Migranten und die EU-Flüchtlingspolitik als Feindbild entdeckt. Doch in Wirklichkeit gibt es in Ungarn fast keine Flüchtlinge. „Also fand Orbán schließlich Soros. Er war mal Spekulant und noch viel besser: er ist Jude“, sagt Racz. Ihn gemeinsam mit EU-Politikern wie dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker in Verbindung zu bringen mit einer drohenden Islamisierung Ungarns verknüpfe verschiedene Feindbilder der Orbán-Wähler auf einzigartige Weise: Das Misstrauen gegenüber der EU, die Angst vor dem Verlust traditioneller Werte durch Globalisierung und Einwanderung, die Enttäuschung über den westlichen Kapitalismus – sie alle ließen sich auf den vertrauten Antisemitismus projizieren.
Szedlacsek sieht ein anderes Motiv hinter der Kampagne gegen die CEU. Nicht alle Absolventen der Universität hätten nach ihrem Abschluss Posten in Nichtregierungsorganisationen gefunden. Ehemalige Studenten der CEU fänden sich auch in den Führungsrängen der Orbán-Partei Fidesz, sagt sie. Fidesz gründete sich 1988 als Protestorganisation liberaler und westlich orientierter Intellektueller gegen die Diktatur der Kommunisten. Orbán ist 1989 sogar mit einem von Soros finanzierten Stipendium nach Oxford gegangen. „Jetzt wollen sie ihre Verbindungen mit Soros auslöschen. Es ist eine Hexenjagd“, sagt Szedalecsek.
Racz will sich Ende des Jahres für ein Studium an der amerikanischen Eliteuniversität Stanford bewerben. Ob er nach Ungarn zurückkehrt, will sich Racz offen halten. Szedlacsek bricht Ende des Jahres nach Großbritannien auf und plant einen Abschied für immer. Die Studentin ist überzeugt, dass ihr einst so angesehener CEU-Abschluss in Ungarn ohnehin wertlos sein wird. „Ich weiß nicht, ob bei der Stimmung im Land überhaupt jemand es wagen würde, mich zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen“, sagt sie. Das Stigma, an der „verräterischen Universität“studiert zu haben, lässt sich nicht mit einem Mausklick löschen wie eine Beleidigung auf Facebook.
Die Umzugskartons stehen schon im Büro von Professor Zoltan Miklosi, als plane er Hals über Kopf die Flucht. Aber alles sei halb so schlimm. Seine Fakultät ziehe bloß bald in ein anderes Gebäude, erklärt er. Der 42-Jährige wirkt entspannt für einen, dessen Gesicht ebenfalls mit dem Hinweis „Soros-Söldner“in den ungarischen Medien erschienen ist. Ausgerechnet der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zauberte vor einigen Wochen eine mögliche Lösung aus dem Zylinder: Die bayerische Landesregierung brachte eine Kooperation der Technischen Universität München ( TUM) und der CEU ins Spiel.
Manfred Weber, Spitzenkandidat der europäischen Konservativen und CSU-Politiker, machte eine einvernehmliche Lösung im Streit um die CEU sogar zur Bedingung für die Rückkehr von Fidesz an den Tisch der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP.) Die EVP hatte die Mitgliedschaft der Orbán-Partei im März im Streit über die von Fidesz geklebten Schmähplakate gegen Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf Eis gelegt. Der bayerische Autohersteller BMW brachte sich als Sponsor ins Gespräch. Es ist sicher kein Zufall, dass das Unternehmen in diesem Jahr ein großes Werk in der Stadt Debrecen eröffnen will. Orbán zeigte sich plötzlich gesprächsbereit.
Miklosi erstaunt es nicht, dass sich Orbán nun milde zeigt. „Er hat selbst einmal gesagt, dass er einen Pfauentanz aufführt, wenn er mit den Europäern verhandelt“, sagt er. Der ungarische Pfau plustert sich auf und beobachtet wie Brüssel auf seine Provokationen reagiert. Bekommt er Gegenwind, gibt er ein Stück nach. Wenn niemand mehr hinschaue, setze Orbán dann mit einiger Kosmetik vielleicht um, was er ursprünglich wollte, sagt der Professor.
Orbán sei es gelungen, das perfekte Modell einer mit der EU kompatiblen autoritären Herrschaft zu entwickeln. „Er verteilt EU-Gelder als Wohltaten, und weil Ungarn in der EU ist, gilt das Land als Demokratie“, sagt er. Wer unzufrieden sei, der gehe dank der offenen Grenzen nach Berlin oder Wien, anstatt aufzubegehren. Das Modell Orbán lebe von Mobilisierung gegen Feindbilder. „Er muss regelmäßig eine neue Gefahr präsentieren, damit jede Wahl als eine Frage des Überlebens der Nation erscheint. Und nur Orbán ist der Retter. Vielleicht ist er vor den Europawahlen damit zu weit gegangen“, sagt Miklosi. Deutschland könnte dieser Strategie nun Grenzen aufzeigen, indem es den Erhalt der CEU in Budapest zur roten Linie erklärt. Das sei im deutschen Interesse, ist Miklosi überzeugt. „Sonst macht Ungarn überall in Europa Schule“, sagt Miklosi.
Die Soros-Verschwörung hat regierungsnahen Medien zufolge neben der CEU noch einen zweiten Stützpunkt in Budapest: Ein Gebäude mit rußgeschwärzter Fassade beherbergt an der Auróra-Straße im achten Bezirk ein alternatives Kulturzentrum. Die jüdische Jugendorganisation Marom betreibt den Treffpunkt. Ein paar alte Sofas, Klappstühle und Tische belegen den Innenhof des „Auróra“. Das Publikum trägt bunte Schals, dreht sich Zigaretten selbst und trinkt „Club Mate“. Es scheint, als hätte ein Schwarzes Loch eine übliche Kreuzberger Kneipe verschluckt und in Budapest ausgespuckt. Die Budapester Fidesz-Verwaltung hatte noch nie etwas übrig für Subkultur. Sie warf den Vorgänger des Auróra 2012 aus einem städtischen Gebäude. Marom mietete sich daraufhin bei einem privaten Eigentümer ein, um nicht mehr von der Stadtverwaltung abhängig zu sein. Aber jetzt könnte dem Auóra zum Verhängnis werden, dass das Kulturzentrum für seinen Neuanfang auch Geld der Soros-Stiftung „Open Society Foundation“in Anspruch nahm.
Adam Schonberger berichte von Schikanen und Angriffen. So drehte die Stadtverwaltung dem Zentrum bereits im Sommer 2017 nach 22 Uhr den Zapfhahn zu, aufgrund angeblicher Klagen wegen Ruhestörung, die sich aber von der Behörde nicht belegen ließen. Sie nahm dem Zentrum damit einen Großteil seiner Einnahmen. Und dann nahmen die regierungsfreundlichen Medien das Auróra ins Visier und machten es zum Hassobjekt für rechte Trolle. „Sie nennen uns das Drogenzentrum von George Soros“, sagt Schonberger. Und in jedem Bericht werde erwähnt, dass das „Auróra“von Juden betrieben wird. Schonberger hält Viktor Orbán nicht für einen Antisemiten. Aber er sieht in ihm einen Politiker, der keine Skrupel hat, die rund 90.000 Juden in Ungarn für seine politischen Ziele zu opfern.