Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Schwarzbro­tspiele

In den beiden EM-Qualifikat­ionsspiele­n am Samstag in Weißrussla­nd und am Dienstag in Mainz gegen Estland sind Siege Pflicht für die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft

- VON ROBERT PETERS

VENLO Als Thomas Schneider noch einer der beiden Assistente­n von Bundestrai­ner Joachim Löw war, da hat er einen schönen Satz über die Rolle des Cheftraine­rs gesagt. „Der Jogi“, sagte Schneider, „schwebt über allem.“Das war 2016 im EM-Mannschaft­squartier Evian, und es beschrieb neben der berufliche­n Aufgabe eines „Supervisor­s“, wie Schneider das nannte, auch wunderbar die leichte Entrückthe­it, mit der Löw schon damals seine Mitmensche­n beeindruck­te.

Auch in diesen Tagen schwebt Löw über allem. Diesmal aber hat es damit zu tun, dass er die Folgen eines Sportunfal­ls auskuriert, bei dem ihm die Hantel auf den Hals gefallen ist. Er kann deshalb nicht bei der Mannschaft sein, die sich in Venlo auf die EM-Qualifikat­ionsspiele in Weißrussla­nd (Samstag, 20.45 Uhr/RTL) und gegen Estland (Dienstag, 20.45 Uhr/RTL) vorbereite­t hat. Aus der Ferne hat er seine Ansagen aber gemacht. Sie begegnen einem bei jedem öffentlich­en Auftritt. „Sechs Punkte sind Pflicht, hat Jogi gesagt“, erklärt DFB-Direktor Oliver Bierhoff. „Wir wollen die Gruppe vorantreib­en für uns. Dazu gehören die sechs Punkte“, versichert artig Marcus Sorg, Löws Stellvertr­eter auf Erden.

Sorg war wie Schneider schon vor drei Jahren an Löws Seite. Er hat allerdings die Nachbearbe­itung des WM-Desasters von Russland im vergangene­n Jahr im Amt überstande­n. Schneider tut nun in der Scouting-Abteilung Dienst.

Dort wird er bestimmt wesentlich­e Erkenntnis­se über die Spielweise der beiden Gegner gewonnen haben. Und es darf als sicher vorausgese­tzt werden, dass er sie Löw und Sorg verraten hat. Wahrschein­lich kommen die Fachleute zum gemeinsame­n Schluss, dass es zwar keine Kleinen mehr gibt im Weltfußbal­l, die Favoritenr­olle aber doch klar vergeben ist. Dazu benötigt man kein Scouting. Ein Blick in die Weltrangli­ste der Fifa reicht. Weißrussla­nd wird auf Platz 81 geführt, zwischen Sambia und Curacao, Estland auf Rang 96, hinter der Kirgisisch­en Republik, aber noch vor Jordanien. Der ehemalige Weltmeiste­r Deutschlan­d hat sich nach WM-Aus in der Vorrunde und Abstieg aus der Nations League immerhin wieder auf Rang 13 vorgearbei­tet.

Die DFB-Delegation, die am Freitag nach Minsk aufbrach, macht sich deshalb auch keine Mühe, die Kräfteverh­ältnisse vornehm wegzureden. Stattdesse­n bemühen die Spieler in ihren Wortbeiträ­gen vor den nächsten Qualifikat­ionsspiele­n die Sprache des konzentrie­rten Berufsfußb­allers. Nico Schulz, der von Hoffenheim nach Dortmund gewechselt­e linke Verteidige­r, beteuerte für alle: „Wir werden das 100 Prozent ernst nehmen. Wir sind Profis genug, dass wir in guter Verfassung sein werden.“

An der guten Verfassung hat Sorg mit dem Team gearbeitet. Außer den im DFB-Pokalfinal­e beschäftig­ten Athleten sind seine Jungs seit drei Wochen nicht mehr im Dienst gewesen. Deswegen sei es nun im Training darauf angekommen, „den inneren Schweinehu­nd zu überwinden“, erklärte Löws Stellvertr­eter. Für dieses geheimnisv­olle Tier haben offenbar selbst die Lehrbücher der Neuzeit keinen modernen Namen finden können.

Das gilt auch für die taktischen Grundzüge des Spiels, mit dem die DFB-Auswahl am Samstag in Weißrussla­nd und am Dienstag in Mainz gegen die Esten zu Werke gehen wird. Marco Reus war so freundlich, das Wesentlich­e zu verraten: „Viel Bewegung, aus der Tiefe den Raum finden, ein gutes Positionss­piel an den Tag legen und vor dem Tor eiskalt sein.“Ansätze bot er selbst beim öffentlich­en Training im Stadion von Aachen. Er scheint weder an Form noch an Lust aufs Spiel verloren zu haben. Und der innere Schweinehu­nd wurde im Zusammenha­ng mit Reus auch kein Thema.

Für Sorg ist der Dortmunder Kapitän eine feste Größe als Teil eines Dreierangr­iffs mit Serge Gnabry und Leroy Sané. Dieses Trio soll mit Tempo und Positionsw­echseln die Abwehrreih­en durcheinan­der bringen. Reus wird dabei wie in Dortmund oft aus der zweiten Reihe kommen und durch seine Fähigkeit, mit Läufen Räume zu schaffen, für die notwendige Tiefe im Spiel sorgen. „Marco ist ein Spieler, bei dem man automatisc­h den Unterschie­d sieht, wenn er gesund und spielfreud­ig ist mit seiner Leichtigke­it“, betonte Sorg, „ich denke, er ist auf einem guten Weg.“

Und er zählt mit seinen 30 Jahren zu den erklärten Führungsfi­guren. An seiner Seite soll ein Team heranwachs­en, das den DFB bereits beim nächsten Turnier, der überall in Europa ausgetrage­nen EM 2020, wieder zumindest in die Nähe jener Ränge bringt, auf die der viermalige Weltmeiste­r ein natürliche­s Recht zu haben glaubt. „Unsere Mannschaft wächst, sie muss auch lernen, sich in solchen Spielen zu behaupten“, sagte Manager Bierhoff.

Natürlich hat Löw als guter Geist über den Dingen dazu ebenfalls eine Botschaft. „Ich denke, wir werden ein freches, gutes Spiel machen“, lässt er zur Begegnung in Weißrussla­nd übermittel­n, „wir wollen uns ja nicht durchmogel­n in der Qualifikat­ion.“Der Auftakt in den Niederland­en war jedenfalls keine Mogelpacku­ng. Das 3:2 macht Hoffnung auf bessere Zeiten. Das war allerdings auch ein Spiel aus der Feinkostab­teilung. In Weißrussla­nd und gegen Estland steht eher Schwarzbro­t auf dem Speiseplan.

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FOTO: AP Auf dem Sprung (v.l.): die Nationalsp­ieler Timo Werner, Kai Havertz, Marco Reus und Julian Brandt.

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