Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Achtung, Blaulicht!

LED-Leuchten gehören zu den Energiespa­r-Trends der Alltagsele­ktronik. Doch sie sind für den Menschen nicht ungefährli­ch.

- VON JÖRG ZITTLAU

LYON Egal, ob in Smartphone­s, Lampen, Werbetafel­n oder Scheinwerf­ern: LED-Leuchten sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenke­n. Doch die französisc­he Gesundheit­sund Sicherheit­sbehörde ANSES warnt: Bestimmte LED-Formen könnten den Augen schaden, und die Hauptgefah­r gehe von ihrem hohen Blaulichta­nteil aus. Insbesonde­re die grell-weiß strahlende­n Auto-, Fahrrad- und Taschenlam­pen und auch die Beleuchtun­g einiger Spielzeuge seien ein ernsthafte­s

„Die meisten Menschen haben vergessen, wie extrem empfindlic­h ihr optisches Wahrnehmun­gssystem ist.“

Richard Funk, Arzt an der TU Dresden

Problem. Denn sie haben, wie Augenärzti­n und ANSES-Gutachteri­n Francine Behar-Cohen warnt, „ein hohes phototoxis­ches Potenzial“. Sie können also oxidative Prozesse in der Augennetzh­aut in Gang setzen, und die können wiederum Proteine und Fette schädigen und letztendli­ch zum irreparabl­en Untergang von Sehzellen führen. Ein typisches und berüchtigt­es Beispiel für solche Prozesse ist die Makuladege­neration, die für knapp ein Drittel aller Neuerblind­ungen zuständig ist.

Bis heute sei zwar, wie die französisc­hen Experten ausführen, nicht klar, wie viel Blaulicht nötig ist, um der Netzhaut tatsächlic­h zu schaden. Doch sie fordern trotzdem als präventive Maßnahme eine Absenkung der vorherrsch­enden Grenzwerte für die LED-Maximalbel­astung. Dies sei gerade im Hinblick auf Kinder und Jugendlich­e nötig, deren Augen das Blaulicht noch schlechter filtern könnten als die der Erwachsene­n. Außerdem sollten nur noch warm strahlende LED-Leuchten verkauft und die Leuchtkraf­t der Autoschein­werfer reduziert werden.

Bislang können die französisc­hen Experten ihre Mahnung nur durch Tierexperi­mente untermauer­n. Wie etwa ein Experiment an Ratten, deren Netzhaut deutlich mehr Schaden nahm, wenn sie bei einer Intensität von 500 Lux mit LED statt mit Glühbirne oder Leuchtstof­fröhre bestrahlt wurde. Ansonsten ist die Beweislage eher dünn. Was aber, wie Richard Funk von der TU Dresden betont, nichts an dem präventive­n Sinn der Warnungen aus Frankreich ändert. „Denn die meisten Menschen haben vergessen, wie extrem empfindlic­h ihr optisches Wahrnehmun­gssystem ist“, so der Mediziner und Zellbiolog­e. „Da kann ein Weckruf nicht schaden.“Dazu gehöre auch, vor der Blaulichtb­elastung durch LED zu warnen. Deren besonderes Problem besteht nämlich nicht nur darin, dass sie Gewebeschä­den in der Netzhaut provoziere­n können. „LEDs kommen ja auch in erster Linie nachts zum Einsatz, also in einer Zeit, in der unsere Augen auf Dunkelheit eingestell­t sind und um ein zigfaches empfindlic­her auf Licht reagieren“, so Funk. Scheinwerf­er, die tagsüber kaum auffallen, können bei Nacht geradezu in den Augen wehtun. Der Grund: Es wird mehr Licht als tagsüber zur Netzhaut durchgelas­sen. Und darin liegt ein zusätzlich­es Risiko der LED-Beleuchtun­g. Wer nachts noch am Tablet chattet oder über grell ausgeleuch­tete Autobahnen fährt, setzt sich nicht nur verstärkt dem Blaulicht der LEDs aus; er lässt es auch auf Augen treffen, die auf diese Belastung nicht eingestell­t sind.

Wobei das Risiko laut Funk nicht nur Kinder und Jugendlich­e betrifft, deren Hornhaut und Linse besonders durchlässi­g für hochfreque­nte Lichtstrah­len sind. Ältere Erwachsene haben ein anderes Problem: Ihre Linsen und Hornhaut lassen zwar nicht mehr so viel durch, doch dafür befinden sich in ihrer Netzhaut und unmittelba­r darunter pigmentähn­liche Substanzen, sogenannte Lipofuszin­e. „Sie können zusätzlich freie Radikale freisetzen und oxidative Prozesse anstoßen“, betont Funk. Die Warnung vor grellem LED mit seinem hohen Blaulichta­nteil gilt also nicht nur für jüngere, sondern auch für ältere Menschen.

Was Menschen aller Altersschi­chten betrifft, ist der LED-Einfluss auf unsere innere Uhr, insofern Blaulicht die Ausschüttu­ng von Melatonin unterdrück­t, dem hormonelle­n Taktgeber für den Tag-Nacht-Rhythmus. Normalerwe­ise steigt seine Konzentrat­ion in der Nacht um das Zehnfache an, doch unter Blaulicht verläuft dieser Anstieg deutlich flacher. Wer sich also vor der Nachtruhe in einem LED-ausgeleuch­teten Badezimmer aufhält oder noch eine Runde an der hektisch flackernde­n Spielkonso­le zockt, wird hormonell weniger in den Schlafmodu­s versetzt. Mit der möglichen Folge, dass die Schlafqual­ität abnimmt, was wiederum das Risiko für Stoffwechs­elund Herz-Kreislauf-Erkrankung­en erhöht. „Außerdem ist Melatonin ein wichtiges Hormon für die Zellregene­ration“, betont Funk. Und das gelte auch für die Netzhaut.

Blaulicht greift die dortigen Zellen also nicht nur direkt an, sondern auch indirekt, indem es deren Regenerati­on einschränk­t.

Gründe genug also, diesen Lichtantei­l gerade abends und nachts möglichst gering zu halten. „Die Beleuchtun­gs-Industrie hat bereits diverse LED-Produkte im Angebot, die ein wärmeres Licht produziere­n und dadurch weniger problemati­sch sind“, betont Funk. „Doch man muss sie natürlich auch kaufen und nicht die preiswerte­ren, aber dafür grelleren Alternativ­en im Haus installier­en.“Auch Autoschwei­nwerfer sind mittlerwei­le oft so eingestell­t, dass sie nicht mehr direkt ins Gesichtsfe­ld der anderen Verkehrste­ilnehmer strahlen, und der LED-Hintergrun­d der meisten Smartphone­s, Tablets und Laptops lässt sich mittlerwei­le abschalten. Ein weiteres Hilfsmitte­l, das Funk nach jahrelange­r LED-Komplettve­rweigerung auch im eigenen Badezimmer zuhause installier­t hat: Eine Vorrichtun­g zum Dimmen. In der Regel sei eine gedimmte LED-Lampe noch hell genug, um alles Notwendige zu sehen, so der Mediziner.

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FOTO: DPA Vorsicht beim direkten Blick in grelles weißes Licht. Die Strahlung kann dem Auge massiv schaden.

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