Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Abitur-Kanon
Zu „NRW streicht Goethe aus dem Abitur“(RP vom 3. Oktober):Was für ein anachronistischer Streit um Goethes „Faust“! In der Nachkriegszeit griff ein desorientiertes Bildungsbürgertum nach Goethe, dem Klassiker, und langweilte etliche Generationen mit den albernen Knittelversen eines in die Lebenskrise geratenen Fünfzigjährigen, der, kraft Zaubertranks verjüngt, einer Minderjährigen nachjippert. Ob das denn nicht schon Pädophilie sei, argwöhnten Schüler des Deutschunterrichts. Nein, die Tragik der faustischen deutschen Seele und vor allem identitätsstiftend, so Oberlehrer Meidinger. Übrigens ist der Streit überflüssig. Wenn auch nicht „Faust eins“,so doch „Iphigenie“und „Werther“, abgeseDrei persönliche Erlebnisse: Ich besuche mit einer polnischen Studentin das Goethe-Haus in Weimar. Sie kennt sich ohne jede Erläuterung im Leben und Werk von Goethe aus ihrer Schulzeit in Polen aus. Ich fahre mit der U-Bahn in Moskau. Auf die Frage einer Moskauerin nach meinem Wohnort und meiner Antwort Düsseldorf sagt sie auf deutsch: „Oh, das ist die Stadt Heinrich Heines“. Ich besuche eine Stadt in Bulgarien. Die Reiseführerin, eine Deutschlehrerin, verabschiedet sich mit Im Grunde ist es eine konsequente Fortsetzung der nordrheinwestfälischen Bildungsoffensive, Goethes Faust aus dem Abiturkanon zu streichen. Seit den Siebzigern, als der „rote Girgi“, der damalige SPD-Kultusminister Jürgen Girgensohn, mit einem Streich das gegliederte Schulsystem abschaffen und dafür flächendeckend Gesamtschulen einführen wollte, ist viel geschehen im Sinne von Gleichmacherei, Diskreditierung von Haupt- und Realschule samt Ausbildung im Handwerk und anderen mittelständischen Berufen zugunsten eines Gymnasiums