Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Keine Sekunde in Sicherheit wiegen“
Die Kanzlerin warnt vor einem zweiten „Shutdown“, wenn die Lockerungen der Corona-Maßnahmen die Infektionsrate wieder steigen lassen. Die Gesundheitsämter werden zur Nachverfolgung der Infizierten besser ausgestattet.
BERLIN Es ist der Tag eins, und die Kanzlerin hat schon früh am Morgen den Kaffee auf. Am vorigen Mittwoch hatte sie noch vom Geist der Gemeinschaft unter den Ministerpräsidenten geschwärmt, der in einem föderalen Staat fast schon an ein Wunder grenze. Für den 20. April wurde eine vorsichtige Lockerung der rigiden Corona-Maßnahmen beschlossen und weiterer Zusammenhalt versichert. Doch dann gingen die 16 Ministerpräsidenten ihrer Wege – ihrer Sonderwege.
Die einen erlassen eine Tragepflicht von Masken in Bus und Bahn, die anderen öffnen die Kirchen wieder für Gottesdienste, die anderen Möbelhäuser zum Kauf von Küchen, wieder andere die Zoos. Merkel klagt am Montag in einer morgendlichen Schalte mit dem CDU-Präsidium über „Öffnungsdiskussions-Orgien“. Der Gleichklang der Bundesländer ist jedenfalls futsch, wie es scheint. Also doch kein Wunder. Die Naturwissenschaftlerin Merkel ist sauer und in Sorge.
Ihr harter Kurs führt zu Widerspruch. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki wirft ihr etwa vor, sie maße sich in der Corona-Krise Regelungskompetenzen an, die sie nicht habe. Schließlich stehe auch die Kanzlerin nicht über dem Gesetz, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Tilman Kuban, Chef der Jungen Union, plädiert hingegen dafür, der Bundesregierung mehr Macht zu übertragen. Die unterschiedlichen Regelungen in den Ländern bei Kinderbetreuung, Ladenöffnungen oder Maskenpflicht zeigten, „dass wir in besonderen Krisenzeiten mehr Kompetenzen auf Bundesebene bündeln müssen“, sagt er unserer Redaktion. „Die Entscheidungen darüber sollten dann jeweils beim Bund und die Ausführung und Kontrolle bei den Ländern liegen. Alles andere verunsichert die Menschen und führt zu Wettbewerbsverzerrungen.“
Die Kanzlerin mahnt: „Wir dürfen uns keine Sekunde in Sicherheit wiegen, sondern wir müssen wachsam und diszipliniert bleiben.“Und sie warnt unumwunden vor einem zweiten „Shutdown“, wenn die Infektionsrate
wieder stark steige. „Es kann auch ein Fehler sein, dass man zu schnell voranschreitet“, stellt sie in Richtung jener Ministerpräsidenten fest, die bei der Exit-Strategie aufs Tempo drückten.
Auch die anfangs noch große Geschlossenheit der Bundesregierung zeigt inzwischen Risse. Der Vorstoß der SPD für ein höheres Kurzarbeitergeld löst in der Union Ärger aus. Die Sozialdemokraten wiederum sehen in den Debatten der Union um die Wiederbelebung des öffentlichen Lebens ein Ärgernis. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil beklagt, dass sich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und dessen bayerischer Amtskollege Markus Söder (CSU) als potenzielle Kanzlerkandidaten von CDU und CSU ständig Profilierungsversuche lieferten. Das wirke manchmal wie ein Hahnenkampf um Merkels Erbe. „Ich finde das gefährlich und der Situation absolut nicht angemessen. Dafür ist die Lage viel zu ernst“, sagt er unserer Redaktion. Dann zündelt er selbst ein bisschen: „Bei der Erhöhung des Kurzarbeitergeldes oder bei der Betreuung von Kindern zum Beispiel müssen wir noch nachlegen.“
Vorlegen wird die Regierung schon einmal bei der besseren Ausstattung der Gesundheitsämter, wie das sogenannte Corona-Kabinett am Montag beschloss, das Merkel mit den für die Bekämpfung der Krise zuständigen Ministern stellt. Pro 20.000 Einwohner soll künftig eine Person zuständig sein, die im Fall der Infizierung eines Bürgers mit dem Coronavirus dessen Kontakte nachverfolgt. Gesundheitsämter, die dafür nicht gerüstet sind, müssen dies ab Mittwoch melden und sollen Hilfe bekommen – zum Beispiel durch Bundeswehrsoldaten.
Die Nachverfolgung von Infektionsketten gilt als Schlüssel zum Erfolg im Kampf gegen das Virus. Dafür arbeitet das Gesundheitsministerium zurzeit an einer „Tracing-App“für Mobiltelefone, die Personen warnen soll, die mit nachweislich Infizierten in Kontakt standen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigt ein Förderprogramm von bis zu 150.000 Euro pro Gesundheitsamt an, das technisch nicht auf der Höhe der Zeit ist. Zur Unterstützung der Kommunen soll zudem beim Robert-Koch-Institut eine Kontaktstelle mit 40 Mitarbeitern gebildet werden. Sie sollen die Behörden vor Ort bei lokalen Ausbrüchen von Covid-19 beraten.
Wie sie ihre Freizeit in Corona-Zeiten verbringt, wird Merkel noch gefragt. Sie ist weiter nicht zu Scherzen aufgelegt. Ihre kurze Antwort: „Ich habe mich an alle Regeln gehalten, die verhängt wurden.“