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Wie sich Betriebe in der Krise neu erfinden
Viele Unternehmen in NRW helfen sich selbst und stellen ihre Produktion um. Wer kann, fertigt jetzt Atemmasken, Schutzwände und Visiere – und sichert sich damit den Umsatz.
DÜSSELDORF/ERKRATH Stillstand ist Gift fürs Geschäft – und deshalb tun viele Unternehmer in Nordrhein-Westfalen alles dafür, ihren Betrieb aufrecht zu erhalten. Sie produzieren Waren, die krisenbedingt stark gefragt sind. Beispiel: Ständer für Desinfektionsmittel-Spender. Weil neue Aufträge etwa für die Fertigung von Treppengeländern derzeit ausbleiben, hat sich der Düsseldorfer Metallbauermeister Carsten Jäger genau auf solche Edelstahl-Systeme spezialisiert.
Mehr als 850 Ständer für Desinfektionsmittel-Spender haben er und seine Mitarbeiter bereits gebaut. Einer seiner Kunden ist die Stadt Düsseldorf, die ihm gerade einen weiteren Großauftrag beschert hat: Seine Stahl-Systeme sollen demnächst in Schulen aufgestellt werden. „Ich kann mich nicht beklagen“, sagt Jäger, der seine Konstruktionen aus Stahl und Aluminium zum Preis von 325 Euro netto verkauft. „Damit kann ich ein Fiasko für meinen Betrieb abwenden.“
Um Schadensbegrenzung bemüht sich auch der Messebau-Firma Winkels in Kleve, die aus Acrylglas-Resten Spuckschutz-Wände unter anderem für Krankenhäuser herstellt. Mehr als 150 maßgefertigte Wände sind bereits verkauft worden, sagt Mit-Geschäftsführer
Dominik Winkels: „Damit ist das Unternehmen nicht gerettet, aber die Stimmung unter den Mitarbeitern.“Winkels sichert mit der Produktion zumindest für einen Teil seiner Mitarbeiter die Beschäftigung.
Für andere Betriebe ist die krisenbedingte Produktions-Umstellung die Chance, mehr Umsatz denn je zu generieren. Das Erkrather Unternehmen Cutall von Joachim Nöthen beispielsweise ist innerhalb weniger Tage auf die Produktion von Schutzvisieren umgestiegen. Mit Partnerunternehmen hat Nöthens Team nach eigenen Angaben bereits 200.000 Schutzvisiere hergestellt. „Wir verkaufen pro Tag 20.000 Stück“, sagt er. Investiert habe er dafür mehr als eine halbe Millionen Euro – und Nöthen rechnet damit,
Millionen mit den Visieren zu verdienen. Je nach Menge kosteten sie zwischen 6,50 und 12,50 Euro. Seine 25 Mitarbeiter hat er inzwischen aus der Kurzarbeit geholt.
Auf die starke Nachfrage nach Atemmasken reagieren mehrere Großunternehmen in NRW, darunter der Technologie- und Rüstungskonzern Rheinmetall. Dieser liefert sechs Millionen Atemschutzmasken nach Deutschland und rechnet für die nächsten Wochen mit noch größeren Lieferungen aus der Fertigung chinesischer Partnerunternehmen. Auch der Mönchengladbacher Autozulieferer Aunde hat Teile seiner Produktion umgerüstet: „Wir haben in Deutschland wie auch in anderen Ländern begonnen, Mund- und Nasenschutz für den Eigenbedarf in unserer Gruppe zu produzieren. Eine Ausweitung ist vorgesehen“, hatte Aunde-Chef Rolf Königs angekündigt.
Auch Melitta in Minden produziert Schutzmasken. Bekannt ist das Unternehmen etwa für Kaffee-Filter. „Mit unseren Produktionskapazitäten sind wir in der Lage, in kürzester Zeit sehr viele Atemmasken herzustellen“, sagt Jero Bentz, Mitglied der Unternehmensleitung. Bis zu einer Million Masken pro Tag könne Melitta bald herstellen.
In Troisdorf bei Köln investiert Innovatec in neue Produktionsanlagen, um noch mehr Vliesgewebe für den Einsatz in Schutzmasken und -anzügen herzustellen. Mit neuen Anlagen könne Innovatec laut Eigentümer Christian Klöber bei maximaler
Auslastung Vlies für vier Milliarden OP-Masken herstellen. Eine Anlage allein produziere pro Woche Meltblown-Vlies für die Herstellung von rund 35 Millionen Masken. Mit dieser Menge ließen sich mehr als 85 Prozent der vom Bund ausgeschrieben 40 Millionen OP-Masken pro Woche fertigen.
Ähnlich reagiert DFA in Bielefeld, das eigentlich Dämmmaterial für Autos herstellt. „Wir versuchen zu retten, was zu retten ist“, sagt Chef Ralf Dopheide. Nach der Dieselkrise ist Corona der zweite herbe Schlag, den Dopheide als „existenzbedrohend“bezeichnet. Um den Schaden zu begrenzen, stellt der Betrieb mit 100 Mitarbeitern täglich 3,5 Millionen Atemmasken her. Der Einzelpreis liege bei 58 Cent. Vom Verkauf wird das Unternehmen profitieren, für Dopheide vertretbar: „Wir tragen das unternehmerische Risiko.“
Auch in anderen Regionen wird umgerüstet: Der Heizungsbauer Viessmann hat am Unternehmenssitz im hessischen Allendorf eine Produktionslinie umgerüstet: Statt Gas-Wandgeräte werden nun Beatmungsgeräte gebaut. Nach der Sonderzulassung könnten bis zu 600 Stück pro Tag hergestellt werden.