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Misstrauen prägt Israels neue Regierung
JERUSALEM Nach eineinhalb Jahren politischen Stillstands und drei Wahlen innerhalb eines Jahres hat Israel wieder eine Regierung. Die Rivalen Benjamin Netanjahu und Benny Gantz haben nach wochenlangem Gerangel eine 36-seitige Regierungsvereinbarung zur sogenannten Notstands-Einheitsregierung unterzeichnet. Doch ob die Regierung wirklich funktionsfähig sein wird, ist fraglich.
Die ersten sechs Monate sind als sogenannte Notstandsperiode vorgesehen. In dieser dürfen lediglich Gesetze erlassen werden, die der Eindämmung der Corona-Krise dienen. Dem folgt die Phase der Einheitsregierung, doch der Begriff könnte in die Irre leiten, denn die Vereinbarung spiegelt in erster Linie das gegenseitige Misstrauen wider.
Der Kompromiss, den Netanjahu und Gantz gefunden haben, ist eine Regierung, die aus zwei Blöcken besteht: Netanjahus rechtsnationalem Likud mit voraussichtlich 59 Abgeordneten und dem in der Mitte stehenden Bündnis Blau-Weiß von Gantz mit 19 Abgeordneten. Netanjahu wird die ersten 18 Monate die Amtsgeschäfte übernehmen, dann tritt er den Posten an Gantz ab.
Doch unabhängig von ihrem Status erhalten beide große Macht über ihren jeweiligen Block. Jeder kann Minister aus seinem eigenen Block entlassen – eine Macht, die normalerweise dem Ministerpräsidenten vorbehalten ist. Mit einem System gegenseitiger Kontrolle, etwa durch das Vetorecht zu Regierungsentscheidungen, haben die Verhandlungsteams vorgesorgt, dass keiner im Alleingang Entscheidungen durchdrücken kann. Der Präsident des Israelischen Demokratieinstituts, Johanan Plessner, sieht politische Blockaden programmiert.
Die Vereidigung der Regierung ist für den 4. Mai vorgesehen, es wird das größte und teuerste Kabinett in der israelischen Geschichte sein. 32 Ministerposten sind für die erste Phase vorgesehen.
Die größte Sorge Netanjahus aber dürfte eine ganz persönliche sein. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dies der eigentliche Grund für das mehrmalige Scheitern der Regierungsgespräche war: Netanjahu sieht einem Gerichtsprozess wegen Korruption, Bestechung und Betrug entgegen. Wegen der Corona-Krise wurde der Beginn auf den 24. Mai verschoben. Gantz hatte ursprünglich gedroht, ein Gesetz einzubringen, das es einem Angeklagten unmöglich macht, als Ministerpräsident zu dienen. Angesichts der Aussicht auf eine Einheitsregierung sah er jedoch von dieser Initiative ab. Doch noch steht eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in dieser Frage aus.
Das Gericht erhielt am Dienstag drei Petitionen, die mit je unterschiedlichen Begründungen fordern, dass Netanjahu aufgrund der Anklage nicht Ministerpräsident sein kann. Der jedoch hat mit der Vereinbarung Vorsorge getroffen: Sollte das Oberste Gericht entscheiden, dass Netanjahu nicht Regierungschef sein darf, so wird auch Gantz nicht Ministerpräsident, die Knesset löst sich auf, es gibt eine vierte Wahl. Netanjahu hofft, so eine Entscheidung zu seinen Ungunsten verhindern zu können.