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Im Diesel-Prozess droht VW eine Niederlage
Der Bundesgerichtshof zweifelt an den Argumenten von VW. Mehr als 70.000 Klagen sind vor Gerichten noch anhängig.
KARLSRUHE (rtr) Im Streit um Schadensersatz im Dieselskandal zeichnet sich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) für Volkswagen eine empfindliche Niederlage ab. Der Vorsitzende Richter Stephan Seiters bezeichnete am Dienstag viele Argumente des Autobauers als nicht zutreffend. Durch den Kauf eines manipulierten Fahrzeugs sei der Käufer geschädigt worden, stellte Seiters in seiner vorläufigen Einschätzung fest. Er machte deutlich, dass er das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz (OLG), das dem Kläger 26.000 Euro Schadenersatz für einen gebrauchten VW Sharan zugesprochen hatte, im Wesentlichen nicht beanstanden wird. Das OLG war von einer sittenwidrigen
Schädigung durch VW ausgegangen. Die Äußerungen des Richters ließen VW-Anwalt Reiner Hall schlucken: „Sie haben mir einen ordentlichen Fels in den Weg gelegt“, sagte er. „Wir sind davon ausgegangen, dass der BGH sagt, es ist kein Schaden für den Kunden zu erkennen“, sagte ein VW-Sprecher. „Vorläufig ist der Senat nicht unserer Auffassung.“Ob es dabei bleibe, sei offen. Das Urteil, das eine Signalwirkung für Tausende Verfahren haben wird, will der BGH erst zu einem späteren Zeitpunkt verkünden. Gerichtskenner gehen davon aus, dass der Senat mit seiner vorläufigen Auffassung seine Entscheidung angedeutet hat.
Es ist das erste Mal, dass sich das oberste deutsche Zivilgericht mit einer Schadenersatzklage eines Autokäufers im VW-Skandal in einer mündlichen Verhandlung beschäftigt (VI ZR 252/19). Sollte der Kläger Recht bekommen, könnte das bei Gerichten der unteren Instanzen eine Lawine an Urteilen gegen VW auslösen. Das sieht der Autobauer nicht so: „Anlass für neue Klagen wird es kaum geben.“Viele Kunden hätten dem im Rahmen einer Musterfeststellungsklage verhandelten Vergleich zugestimmt, andere Ansprüche seien verjährt. Man müsse nun das Urteil abwarten.
Insgesamt gibt es laut VW in Deutschland 73.000 Klagen, in denen Dieselhalter Schadensersatz verlangen. Darunter sind laut dem Prozessfinanzierer MyRight Ansprüche
von 45.000 Fahrern, die die Firma gebündelt hat. Hierzulande hatten anfangs die meisten Gerichte Schadensersatzforderungen abgewiesen. Zuletzt hatte sich das Blatt jedoch gewendet. VW hat seither versucht, Urteile zu seinen Ungunsten durch außergerichtliche Vergleiche zu vermeiden. Einige Verfahren landeten dennoch vor dem BGH. Die Wiedergutmachung des Skandals hat Volkswagen bereits mehr als 30 Milliarden Euro gekostet.
Vor dem BGH wurde der Fall des Klägers Herbert Gilbert verhandelt. Er hatte 2014 für 31.500 Euro einen gebrauchten VW Sharan mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 gekauft, in dem eine Abschalteinrichtung verbaut ist. Diese sorgt dafür, dass die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, auf der Straße wird mehr giftiges Stickoxid ausgestoßen. Der Kläger sei vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht worden, hatte das OLG Koblenz geurteilt und ihm 26.000 Euro Schadensersatz zugesprochen. Die Richter zogen ihm aber Kosten für die Nutzung des Fahrzeugs ab, deshalb ging Gilbert in Revision. VW rief den BGH ebenfalls an und will, dass die Richter alle Forderungen zurückweisen. Richter Seiters erläuterte, der Kläger habe hinreichend dargelegt, dass der VW-Vorstand von der Betrugssoftware gewusst haben müsse. Auf einen Abzug der Kosten für die Nutzung muss Gilbert sich aber einstellen.