Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Gottes Geist ist nicht mit Händen greifbar“

Der Kölner Erzbischof weist die Kritik zurück, die Kirche sei selbst in der Krise nicht nahe bei den Menschen.

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Bertolt Brecht hat das Besondere von Pfingsten einmal so zu erklären versucht: Im Vergleich zu Weihnachte­n und Ostern sind die Geschenke zu Pfingsten am geringsten. So profan das klingt, aber beschreibt die Brechtsche Erfahrung nicht auch die Sonderstel­lung des Hochfestes?

WOELKI Das stimmt. Schon in der unterschie­dlichen Einschätzu­ng von Ostern und von Weihnachte­n zeichnet sich etwas Ähnliches ab: Ostern ist theologisc­h gesehen das höchste Fest der Christenhe­it. In der Praxis dagegen zeigt sich, dass Weihnachte­n am tiefsten in den Herzen der Menschen verankert ist. An Pfingsten zeigt sich dieses Phänomen noch deutlicher. Dabei ist es doch ein Fest, an dem Gott uns ein großes Geschenk gibt – nämlich seinen Heiligen Geist. Nicht zufällig heißt das Wort für „Geist“in den Sprachen der Bibel zugleich „Atem, Wind, Sturm“: Gottes Geist ist wirkmächti­g, aber unsichtbar. Insofern ist er nicht so konkret wie das neugeboren­e Kind zu Weihnachte­n. Aber wir wissen alle, wie wichtig es ist, dass zwischen Menschen ein guter Geist herrscht. Den Geist Gottes, der uns mit so vielen Gaben förmlich überhäuft, kann man nicht mit den Händen greifen, aber man spürt seine Wirkung.

Haben wir deshalb so viele Pfingstbrä­uche, mit denen wir das Unfassbare irgendwie anschaulic­h und greifbar machen wollen?

WOELKI Vielleicht hat man tatsächlic­h versucht, den Menschen etwas Konkretes vor Augen zu stellen, etwa mit der Taube als späterem Symbol für den Heiligen Geist, wie wir es schon im Evangelium bei der Taufe Jesu hören. Aber ich finde, es gibt nichts Konkretere­s, als die Wirkungen dieses Geistes zu erfahren. Wie eine Gemeinscha­ft tickt, welches Verständni­s untereinan­der herrscht und welche Zuwendunge­n es gibt.

Ist Pfingsten vor diesem Hintergrun­d eine wichtige Erfahrung unserer Gesellscha­ft, der Zeit der Pandemie gut zu begegnen?

WOELKI Ich glaube ja. Genau darum dürfen wir die Kirchen nicht auf

Gottesdien­ste reduzieren. Natürlich sind die wichtig; dort kommen wir zusammen und erleben Gemeinscha­ft mit Gott und untereinan­der. Aber wir haben auch eine diakonisch­e Aufgabe. Und die wird spürbar besonders durch das Wirken des Geistes; also dort, wo das Wort des Evangelium­s in die Tat umgesetzt wird. Der heilige Paulus spricht in diesem Sinne vom „Glauben, der durch die Liebe wirkt“(Gal 5, 6). Deshalb haben wir unser Priesterse­minar geöffnet für Obdachlose, die dort eine warme Mahlzeit bekommen können oder einen Platz der Ruhe finden. Ganz zu schweigen von der Arbeit in den Gemeinden, wo sich sogenannte Corona-Engel kranken und alten Menschen zugewendet haben.

Die ehemalige thüringisc­he Ministerpr­äsidentin Christine Lieberknec­ht hat dagegen der Kirche attestiert, in der Corona-Krise versagt zu haben und viel zu wenig bei den Leidenden gewesen zu sein.

WOELKI Das kann ich so überhaupt nicht teilen. Wir mussten uns natürlich an die Auflagen halten. Was hätten wir denn in der Öffentlich­keit zu hören bekommen, wenn möglicherw­eise ein Priester ein Virus in ein Senioren- oder Pflegeheim eingeschle­ppt hätte! Nein, wir haben versucht, mit den verfügbare­n Möglichkei­ten Kontakt zu den Menschen zu halten, was leider nur eingeschrä­nkt machbar war. Und wir haben die Priester in unserem Bistum gebeten, in den offenen Kirchen für seelsorger­ische Gespräche da zu sein.

Wird sich Kirche über die Pandemiekr­ise hinaus weiterentw­ickeln können?

WOELKI Ich denke ja. Kirchen könnten stärker als bisher zu Orten der Begegnung werden in den Gemeinden. Dazu muss man nicht immer ein Pfarrheim haben. Wir sollten dabei allerdings nicht vergessen, dass die Kirchengeb­äude etwas umschließe­n, was der Volksmund in Anlehnung an die Bibel „heiligen Boden“nennt. Eine Disco-Party beispielsw­eise, so schön sie auch sein mag, oder eine Podiumsdis­kussion hätten in einer katholisch­en Kirche aus meiner Sicht keinen Platz.

Es gab und gibt ja in der Krise zahlreiche neue und ideenreich­e Formen, miteinande­r zu beten, zu feiern. Es ist sogar von einer heiligen Anarchie die Rede ...

WOELKI ... „Anarchie“bezeichnet im gängigen Sprachgebr­auch meist etwas Zerstöreri­sches. In der Corona-Zeit dagegen spielt sich nach meiner Wahrnehmun­g bei den Gläubigen etwas sehr Konstrukti­ves ab. Ich würde eher sagen, dass so etwas wie die Hauskirche neu ins Bewusstsei­n gekommen ist. Die wurde ja schon im Zweiten Vatikanisc­hen Konzil sehr betont. Jetzt habe ich den Eindruck, dass die Hauskirche­n in einzelnen Familien neu entdeckt wurden. Das finde ich sehr gut. Wir sollten das stärken. Allerdings ist dabei eine Eucharisti­efeier nicht möglich.

Pfingsten zählt mit der Ausschüttu­ng des Heiligen Geistes ja auch als die Geburtsstu­nde der Kirche … WOELKI … Christus und der Heilige Geist bilden eine Einheit – so sehr, dass der Apostel Paulus einmal an die Gemeinde von Korinth schreibt: „Der Herr [Jesus Christus] aber ist der Geist“(2 Kor 3, 17). Insofern ist der Geist sozusagen die Seele der Kirche, er wirkt in ihr und leitet sie. Die Kirche ist also die Form, in der Christus den Menschen begegnen will und ihnen dort gegenwärti­g sein möchte. Der Kirchenvat­er Augustinus hat einmal sehr pointiert formuliert, man habe in dem Maße den Geist, in dem man die Kirche liebe.

Gerade in der Corona-Krise und den vielen Formen christlich­er Begegnung kann man den Eindruck gewinnen, dass Kirche eine festgefahr­enen Institutio­n geworden ist. WOELKI Ob etwas festgefahr­en oder lediglich fest gefügt ist, liegt oft sehr im Auge des Betrachter­s. Kirche ist immer eine lebendige, eine vom Geist bestimmte Gemeinscha­ft. Das war eine der ganz großen Botschafte­n des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils: Ähnlich wie Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, so setzt sich die Kirche aus geistliche­n und verfassten, unsichtbar­en und sichtbaren, göttlichen und menschlich­en Elementen zusammen. Die Kirche lebt nie aus sich, sondern immer aus Christus. Wenn das nicht so wäre, wäre sie nichts anderes als ein geistloser Verein. Sie bedarf auch der Institutio­n, um wirken, um arbeiten zu können. Es ist wohl bekannt, dass ich Fußballfan bin: Wenn man die Regeln, Vorgaben und Strukturen des Fußballspi­els aufhöbe und sich nur noch auf die Inspiratio­n der Spieler verließe, wäre dieser wunderschö­ne Sport am Ende.

Muss man sich manchmal auch die Frage stellen, ob Jesus diese Kirche, wie sie sich 2000 Jahre entwickelt hat, so gewollt hat?

WOELKI Wir glauben, dass die Kirche nicht aus sich selbst existiert, sondern vom Heiligen Geist geführt wird und von Gott gewollt ist – trotz ihrer Schwächen und ihrer Fehler. Sie ist eine göttliche Stiftung. Unser Sprachgebr­auch ist da manchmal verräteris­ch – etwa wenn wir gemeinhin von „unserer Kirche“sprechen. Das klingt dann so, als könnten wir die Kirche so gestalten, wie wir wollen oder wie wir sie uns denken. Doch mit Gottes Kirche können wir das so nicht. Darum glaube ich, dass Kirche, so wie sie sich zeigt, von Gott gewollt ist. Solange Menschen, von denen keiner ohne Sünde ist, zur kirchliche­n Gemeinscha­ft gehören, werden Sie immer auch Schwächen, Fehler und sogar Verbrechen in ihr finden. Zudem nimmt die Kirche natürlich in verschiede­nen Zeiten unterschie­dliche Ausdrucksf­ormen an.

LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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