Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Thomas Schütte findet die Schönheit

Skulpturen des Bildhauers sind im Hetjens-Museum zu sehen. Dem Haus ist mit der Schau ein großer Wurf gelungen.

- VON CLEMENS HENLE

Ein kleiner Wald aus bis zu anderthalb Meter hohen Urnen steht im Festsaal des Palais Nesselrode. Rot, grün und beige schimmern diese wunderbar unnützen Gefäße, sie sind oben geschlosse­n und somit ihrer Funktion enthoben. Dafür ergeben sie ein Ensemble voll einfacher Schönheit, und trotz ihrer verschiede­nen Formen werden sie zu einer ergreifend­en Einheit. Einige sind mit vertikalen Streifen geritzt, der Bauch ist zart verziert oder der Deckel geht spitz nach Außen.

Mit der Schau „Thomas Schütte. Keramik“ist dem Hetjens-Museum im 111. Jahr des Bestehens ein ganz besonderer Wurf gelungen. Denn wo sonst vor allem Trink- und Tafelkeram­iken ausgestell­t werden, zeigt nun mit Thomas Schütte einer der wichtigste­n und vielseitig­sten zeitgenöss­ischen Bildhauer aktuelle Keramik-Arbeiten. Der Düsseldorf­er ist ein Star des internatio­nalen Kunstmarkt­es, ist auf allen wichtigen Kunstmesse­n vertreten und schafft es doch, sich dem Markt immer wieder zu entziehen. So betreibt er folgericht­ig seit 2016 seine eigene, sehr sehenswert­e Skulpturen­halle in unmittelba­rer Nähe zur Langen Foundation in Neuss-Holzheim. Neben eigenen Werken stellt Schütte dort auch andere, für ihn wichtige und interessan­te Künstler aus. Dazu gibt es ein gut gefülltes Archiv seiner Arbeiten. Dieses macht eine Ausstellun­g in einem Sparten-Museum wie dem Hetjens erst möglich. Die Transportw­ege sind kurz, die Versicheru­ng bleibt erschwingl­ich, und Schütte selbst war an Aufbau und Konzeption der Ausstellun­g beteiligt.

Im Hetjens stehen durch eine Wand getrennt auf der anderen Seite der Urnen Schüttes „Gartenzwer­ge“. Knallig bunt und wohlpropor­tioniert erinnern sie viel mehr an abstrahier­te Schachfigu­ren oder Oskar Schlemmers triadische­s Ballett als an das Emblem des deutschen Spießbürge­rtums. Denn das fällt gleich zu Beginn auf: Thomas Schütte, der für seine oft entstellte­n Köpfe oder furchteinf­lößenden Bronze-Skulpturen bekannt ist, zeigt im Hetjens seine Suche nach der Schönheit. Anrührend steht man so vor einem tief blauen Frauenkopf, der an eine ägyptische Pharaonin erinnert – stolz blickt diese Frau aus ihren tiefen Augenhöhle­n, den Kopf um 90 Grad gedreht. Während seine früheren Köpfe noch mit Hammerund Faustschlä­gen bearbeitet wurden, und der Blick mit dem Schraubenz­ieher in den 150 Kilo schweren Tonblock gemeißelt wurde, ziert diese Köpfe eine zarte, universell­e Schönheit, der sich der Betrachter nicht entziehen kann.

Dabei fallen immer wieder die Detaillieb­e und der Perfektion­strieb Schüttes auf. Seine Keramiken stehen den anderen Exponaten des Museums in keiner Weise nach, die farbigen Lasuren laufen perfekt über die Arbeiten, schimmern wunderschö­n in der Sonne. Seit 1988 arbeitet er mit dem Keramiker Nils Dietrich zusammen. In dessen Kölner Atelier werden die Arbeiten gebrannt und lasiert. Zur Documenta IX realisiert­en die Beiden 1989 mit „Fremden“ein Aufsehen erregendes Projekt. Auf dem Portikus eines Kasseler Modehauses stand eine Gruppe Personen in folklorist­ischer Kleidung mit verschiede­nen Gepäckstüc­ken. Es ist sicherlich auch diese lange und vertrauens­volle Zusammenar­beit, die Schüttes Keramikarb­eiten so eindrucksv­oll machen.

Seine größeren Bronzeskul­pturen lässt der Bildhauer übrigens bei der Kunstgieße­rei Kayser am Paradiesst­rand machen. Dort kann man mit etwas Glück dann die halbfertig­en Riesen auf dem Gießerei-Hof sehen. Und auch Schüttes Glasarbeit­en werden seit Jahrzehnte­n vom gleichen Meister auf Venedigs Glasinsel Murano hergestell­t.

Denn das zeigt die Ausstellun­g im Hetjens auch, Thomas Schütte ist in Zeiten der digitalisi­erten und technologi­sierten Kunst einer der letzten großen Handwerker. „Es ist wichtig, dass der Daumen mitdenkt“, sagt der 65-Jährige. Wo viele seiner Zeitgenoss­en auf computerba­sierte Entwürfe zurückgrei­fen, steckt in jeder seiner Arbeiten echte, eigene Handarbeit. Das Kunsthandw­erk und die physische Arbeit, die damit einhergeht, machen die Skulpturen zu Werken voller Aura.

Das zeigen auch die drei Hunde, die ein Stockwerk höher stehen. Auf von Schütte selbst entworfene­n, achteckige­n Stelen bäumen sie sich auf. Die künstleris­che Entwicklun­g Schüttes, der an der Kunstakade­mie bei Gerhard Richter und Fritz Schwegler studierte, kann anhand seiner „Ceramic Sketches“nachvollzo­gen werden. Auf genormten Ziegeln sitzen oft deformiert­e Körper, überschütt­et mit Lasur. Aus diesen Entwürfen entstehen liegende Körper, die Schütte aus Keramik, Stahl, Bronze und Aluminium nachgießen lässt.

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FOTO: MAREIKE TOCHA Dieses Werk heißt „Frauenkopf (implodiert)“.
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FOTOS (3): UWE SCHAFFMEIS­TER Die ausgestell­ten Gefäße bilden einen Kontrast zur Figürlichk­eit der keramische­n Büsten und Bronzeköpf­e.
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Die Exponate sind detailverl­iebt gearbeitet.
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Die Werke sind auch aus kunsthandw­erklicher Sicht beeindruck­end.
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FOTO: TUCHA Mit „Experte F“ist diese glasierte Keramik betitelt.

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