Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Die Pandemie ist kein Rezept gegen Populismus“
Der Bremer Politikwissenschaftler spricht über „Hygiene-Demos“, Populisten in der Corona-Zeit – und die vermeintliche Krise der Demokratie.
MANOW
Statt in einer Krise der Demokratie befinden wir uns in einer Krise der Repräsentation, schreiben Sie. Woran machen Sie das denn fest?
MANOW Die repräsentative Demokratie funktioniert nur mit strategieund verpflichtungsfähigen Parteien, mit einem ausbalancierten Zusammenspiel zwischen Parteien und öffentlicher Meinung. Das scheint aus dem Gleichgewicht geraten.
Woran liegt das?
MANOW Vor allem an der Krise der Parteien. Die ganz zentralen Repräsentationsakteure in der repräsentativen Demokratie, die Parteien, funktionieren nicht mehr, was viele Gründe hat. Das Zusammenspiel mit einer moderierten Öffentlichkeit gelingt wegen der sozialen Netzwerke ebenfalls nicht mehr. Die Diskurshegemonie ist weg.
Was haben die Parteien denn falsch gemacht?
MANOW Die Milieus lösen sich auf: Katholiken wählen nicht mehr zwangsläufig CDU, Arbeiter gibt es kaum noch, und die wählen dann nicht SPD, sondern AfD. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Bedeutungsverlust nationalstaatlicher Politik, die in andere Gremien wie etwa die EZB oder den EuGH abwandert. Wenn aber Parteien gar keinen Unterschied mehr machen, interessiert sich niemand mehr für sie.
Inwiefern?
MANOW Wenn die Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten über EU-Vorgaben enger werden, dann erscheint egal, wer regiert. CDU oder SPD müssen das gleiche machen und gleichen sich dadurch programmatisch an. Deswegen gibt es weniger Auswahl, weshalb manche Leute extrem wählen – als Protest gegen eine faktische Entdemokratisierung.
Und auch die Corona-Skeptiker, ein etwas flapsiger Begriff, fühlen sich nicht ausreichend repräsentiert von den Parteien?
MANOW Die AfD hat angefangen, das aufzugreifen – das ist insofern anschlussfähig, als dort schon länger das Narrativ von der Merkel-Diktatur kursiert. Obendrauf bekommen wir auch noch Leute wie Xavier Naidoo oder Attila Hildmann, die auch gerne ihre Portion Medienaufmerksamkeit abbekommen wollen.
So werden in Amerika Wahlen gewonnen.
MANOW Ja, in dieser Zuspitzung steht uns das noch bevor. Dann werden wir vielleicht von Joko und Klaas regiert – die Celebritysierung der Politik.
Am Anfang der Pandemie hieß es, die Populisten hätten sich entzaubert, weil sie die Probleme nicht lösen. Trump in den USA, Johnson in Großbritannien, Bolsonaro in Brasilien. Stimmt Sie das hoffnungsfroh?
MANOW Das war ein Situationsbefund, der sich etwas zu relativieren scheint. Wenn man ins europäische Ausland schaut, sieht man, dass die Pandemie kein allgemeines Rezept zur Eindämmung des Populismus ist. In Frankreich bekommt Marine Le Pen starke Zustimmung für ihre Kritik an Macron, in Italien profitieren die radikalen Fratelli d’Italia. Die Krisenpolitik von Pis und Fidesz scheint bislang breit akzeptiert. Selbst das Versagen Trumps scheint die Möglichkeit seiner Wiederwahl nicht völlig auszuschließen.
Der scheidende Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat im Interview mit der „ZEIT“gesagt, dass die „liberale Elite die normalen Menschen etwas aus dem Blick“verloren habe. MANOW Der Satz hat mich auch überrascht.
Was daran?
MANOW Vor ein paar Jahren konstatierte er noch, die Populisten könne man nicht an ihren politischen Inhalten erkennen. Das klingt nun etwas anders. Aber er liegt, denke ich, nicht völlig falsch. Ich sehe eine Tendenz derjenigen, die mit dem Status quo sehr zufrieden sind, jeden Protest gegen diese Ordnung als Protest gegen die demokratische Ordnung schlechthin darstellen zu wollen. Diese Art von Fundamentalreflex ist mir zu weit verbreitet.
Woran liegt das?
MANOW Nun, das ist die Heftigkeit von Verteilungskonflikten zwischen denjenigen, denen es so, wie es ist, gut geht, und denjenigen, die weniger vom Status quo profitieren.
Ich verstehe nicht genau, wer die „liberale Elite“eigentlich sein soll. MANOW Ich hätte es auch anders ausgedrückt, aber Voßkuhle trifft, glaube ich, trotzdem etwas. Der britische Journalist David Goodhart meinte einmal: Die neue liberale Elite ist gegenüber jeder Form sozialer Abweichung extrem tolerant, aber gegenüber jeder Form politischer Abweichung extrem intolerant. Ich denke, das ist nicht ganz falsch.