Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Alles auf Abstand
Corona hinterlässt Spuren – auch auf der Bühne. Zu erleben bei der ersten Generalprobe im Schauspielhaus unter Pandemie-Regeln.
Die Bühne sieht aus wie ein leergeräumtes Büro. Darin haben sich Schauspieler verteilt – mit gehörigem Abstand zueinander, bei Aufund Abgängen gehen sie einander aus dem Weg. Eine Gruppe aus Vereinzelten ist da zu erleben, aber zurückgekehrt an den Ort, von dem sie Corona vor drei Monaten vertrieben hat: zurück auf der Bühne.
Es ist die Generalprobe von „Gott“. Das neue Stück von Ferdinand von Schirach wird am 10. September im Schauspielhaus Premiere haben – zu Beginn der ersten Spielzeit unter Pandemie-Bedingungen. Im Stück geht es um andere Existenzfragen:
Im Stück geht es um einen Mann, der sterben will, obwohl er nicht sterbenskrank ist
Ein Mann will sterben, obwohl er nicht krank ist. Der Ethikrat tagt. Der Mann begründet seinen Wunsch, Experten nehmen Stellung. Rhetorische Soli unter Gerichtsatmosphäre – ein Stück wie gemacht für die Corona-Zeit, denn es geht um statische Positionen, um die Dynamik des Denkens.
Der Zuschauer soll Partei ergreifen, umdenken, am Ende eine Entscheidung treffen. Wahrscheinlich hätte diese Inszenierung vor Corona nicht wesentlich anders ausgesehen. Und doch ist da eine Beklemmung, wenn man den diszipliniert auseinandergerückten Schauspielern beim Distanzhalten zusieht. Corona spielt mit, unausgesprochen, eindringlich. Die Pandemie ist das verborgene zweite Thema – die Bühne Spiegel einer fremdgewordenen Wirklichkeit.
Die Proben zu dieser Inszenierung haben mit Telefonkonferenzen begonnen, das auseinandergesprengte Ensemble traf sich im Netz. „Das ging sehr gut“, erzählt Regisseur Robert Gerloff, „wir mussten ja erst einmal über das Thema sprechen und den Text durchdringen, das ließ sich gut ins Internet verlagern.“Aber irgendwann benötige ein Schauspieler dann doch die Energie des Gegenübers und die Wirklichkeit des
Theaterraums, um den Text in seinen Körper aufnehmen zu können. Darum sei es trotz aller fremden Distanz ein großer Moment gewesen, als sich das Ensemble zum ersten Mal wieder leibhaftig im Probenraum traf. „Ein Text fühlt sich einfach anders an, wenn man ihn in einen Bühnenraum hineinspricht – und so veröffentlicht“, sagt Florian Lange, der im Stück einen Arzt spielt. Das sei so ähnlich wie der Unterschied zwischen einem Kochrezept, das man liest, und dem Gericht, das man kocht – und mit allen Sinnen genießt. Vor der ersten Probe auf der Bühne sei sie „herrlich aufgeregt gewesen“, sagt Cathleen Baumann. Sie spielt die Anwältin des Mannes, der sterben will. Beim ersten Wiedersehen seien alle sehr glücklich und zugleich ernst gewesen. Nun sei vieles anders: Die Schauspieler frisieren und schminken sich unter
Anleitung selbst, nehmen ihr Kostüm von der Stange. „Auf dem Stuhl meiner Maskenbildnerin zu sitzen, ist für mich aber nicht nur Teil der Verwandlung, das ist auch eine Art Ritual“, sagt Baumann: „Da kommt man zu sich, legt alles ab, was draußen gerade noch passiert ist, das Private fällt ab.“Das fehle sehr.
Das neue Schirach-Stück arbeitet mit dichten, abstrakten Texten. Gerloff betont das in seiner Inszenierung, indem er die Figuren auf einem Schachbrett der Argumentationslinien ausstellt, erst im Moment ihrer Rede erwachen sie zu lebendigen Charakteren. Nur der Mann, um den es eigentlich geht, dessen Todeswunsch verhandelt wird, ist digital zugeschaltet: Wolfgang Reinbacher, Jahrgang 1938, gehört als ältestes Mitglied des Ensembles zur Corona-Risikogruppe. Darum soll er auf keinen Fall einem Risiko ausgesetzt vom Ensemble, was für ihn noch einen anderen Effekt hat: Die Kollegen die ganze Zeit aus der Distanz zu beobachten, erhöhe noch seine Bewunderung für deren anspruchsvolle Arbeit.
Die Coronavirus-Pandemie wird in der kommenden Saison aber nicht auf der Bühne ihre Spuren hinterlassen. Auch die Zuschauer werden nur vereinzelt in ausgedünnten Reihen sitzen. Es sei für Schauspieler das allergrößte, vor vollem Haus zu spielen, sagt Baumann. Vor wenig Menschen könne es sich schon mal etwas verloren anfühlen. „Aber ich denke, wir werden den Raum trotzdem erwärmen“, sagt Baumann: „Die Verbundenheit mit dem Publikum wird sicher spürbar sein. Denn die Freude, dass wir uns im Theater überhaupt endlich wieder begegnen dürfen, macht zumindest für mich alles andere erstmal unwichtig.“