Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Ein Jahr danach
Einige Mitarbeiter des Krefelder Zoos müssen nach dem Feuer im Affenhaus immer noch therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Die Frauen, die den Brand mit Himmelslaternen verursachten, haben sich bis heute nicht beim Zoo entschuldigt.
KREFELD Zoodirektor Wolfgang Dreßen feiert den Beginn des neuen Jahres mit seiner Frau und Freunden in Bielefeld. Um 0.40 Uhr klingelt sein Handy: Das Affenhaus stehe in Flammen, informiert ihn einer seiner engsten Mitarbeiter, der auf dem Gelände des Zoos wohnt. „Allein durch den Klang seiner Stimme war mir sofort klar, dass es ernst und dramatisch sein muss“, erinnert sich Dreßen. Sofort fährt er zurück nach Krefeld; um vier Uhr kommt er an. Das Drama ist noch im Gange. „Der Höhepunkt des Feuers war zwar vorbei; es fanden aber noch starke Löscharbeiten statt.“
Viel erinnert nicht mehr an die Brandkatastrophe im Krefelder Zoo vor einem Jahr, bei der rund 50 Tiere ums Leben gekommen sind, darunter acht Menschenaffen. Der Rest der Ruine ist im November abgerissen worden; Spezialbagger haben die massiven Betonfundamente zerkleinert – insgesamt fast 4000 Tonnen. Gemeinsam mit den
Zoofreunden plant der Zoo ein neues Artenschutz-Zentrum mit über zwei Hektar Fläche für die Haltung von Gorillas, Schimpansen und Orang-Utans. Baubeginn: Ende 2021. „Ich bin glücklich darüber, dass der Großteil der Menschen in Krefeld und am Niederrhein gesagt haben, dass sie einen neuen Affenpark als Artenschutzzentrum haben wollen“, sagt Friedrich Berlemann, Vorsitzender der Krefelder Zoofreunde, eines Vereins, der seit fast 50 Jahren den Tierpark finanziell unterstützt. „Denn nur wer Tiere kennt, kann sie auch schützen.“
Für Mitarbeiter und Zoofreunde sind die Affen viel mehr gewesen als nur Tiere, die man pflegt und füttert. Sie waren für sie echte Freunde und jahrzehntelange Weggefährten. Und sie waren Persönlichkeiten; der Silberrücken Massa, der von Anfang an im Affentropenhaus lebte, der Schimpansen-Chef Charly und die vielfache Orang-Utan-Mutter Lea. „Besonders vier Tierpfleger und eine Mitarbeiterin für Tierbeschäftigung haben mit den Menschenaffen teilweise über Jahrzehnte hinweg eng zusammengearbeitet, tiefe Beziehungen zu ihnen aufgebaut. Die langlebigen Affen gehörten damit zur Familie“, sagt Dreßen. Viele Krefelder sind mit ihnen großgeworden. „Wer in den 70er-Jahren ein Kleinkind war, kannte sie von klein auf. Die Kinder von damals haben dann wiederum ihren Kindern die Affen gezeigt. Und so weiter. Dieses Verhältnis zu den Affen hat Generationen geprägt.“
Berlemann ist häufig im Tierpark; erst vor wenigen Tagen ist er an der Stelle gewesen, wo bis vor Kurzem noch die Brandruine gestanden hat. „Die schreckliche Nacht kommt dann sofort wieder hoch“, sagt er. Aber auch die Erinnerungen an die enorme Anteilnahme, die dem Zoo weltweit widerfahren ist. „Am frühen Neujahrsnachmittag war die Nachricht schon einmal rund um die Welt gegangen. Unglaublich ist das gewesen. Ich habe einen Freund in Texas, der wusste das am Nachmittag schon.“Eine solche Empathie habe er nie für möglich gehalten. Berlemann und Dreßen müssen gemeinsam mit ihren Mitarbeitern eine Fülle an Kondolenzschreiben und Spenden bewältigen; mehr als zwei Millionen Euro an Spenden kommen zusammen.
Dreßen muss seine Belegschaft durch die schwerste Zeit führen, die der Zoo in Krefeld je erlebt hat. „Das war und ist bis heute eine sehr anstrengende Zeit, weil uns irgendwelche Folgen des Ereignisses immer plötzlich aus der täglichen Routine herausreißen können. Und ich musste lernen, die zahlreichen, meist emotionalen Signale von Mitarbeitern sehr ernst zu nehmen und die Bewältigung der Trauer zu unserer gemeinsamen Aufgabe zu machen.“
In den Tagen, Wochen und Monaten nach dem Brand führen Psychotherapeuten Einzel- und Gruppengespräche; insbesondere mit den Pflegern, die sich am intensivsten mit den Menschenaffen beschäftigt haben. „Die posttraumatische Belastung wird andauern, sagen die Therapeuten, auch wenn man meint, man habe das Ereignis bewältigt“, so Dreßen. Das Drama der Nacht könne auch Jahre später durch irgendetwas ausgelöst werden, warnen die Experten. „Das ist tatsächlich bei einigen Mitarbeitern eingetreten. Sie sagten schon wenige Wochen nach dem Brand, dass sie keine therapeutische Unterstützung bräuchten und sie bereits darüber hinwegseien“, sagt der Zoodirektor. „Doch je näher der Jahrestag rückt, kommen mehr und mehr Mitarbeiter auf mich zu und wollen mit mir darüber sprechen. Natürlich sind gerade die Mitarbeiter, die mit den Affen eng zusammengearbeitet haben, besonders betroffen. Es packt sie emotional sehr, und mit Bildern und Kopfkino kommen die vielen positiven Erlebnisse mit den Tieren vor dem Brand, aber auch das verpackte nächtliche Drama jetzt wieder ans Tageslicht“, so der Zoochef. Der Zoo hat sich auf solche Fälle eingestellt: Jeder Mitarbeiter, der über Spätfolgen klagt, kann einen Therapeuten nehmen – mit ihm das Erlebte noch einmal durchgehen und im besten Fall bewältigen. Einige von Dreßens Mitarbeitern sind bis heute in Gesprächstherapien; eine junge Mitarbeiterin hat infolge des Feuers gekündigt.
Ausgelöst worden ist das Feuer durch sogenannte Himmelslaternen, die auf dem Dach des Affenhauses gelandet waren. Drei Frauen werden beschuldigt, sie gezündet zu haben. Ihre Strafbefehle haben sie mittlerweile akzeptiert. Damit ist der Brand juristisch so gut wie abgeschlossen. Beim Zoo haben sich die Frauen bis heute nicht entschuldigt. „Sie haben sich bei mir bisher nicht gemeldet. Wir bemühen uns aber auch nicht, auf sie zuzugehen“, sagt Dreßen. Groll auf die Frauen hege niemand beim Zoo. Vielmehr stehe für die meisten fest: Das haben die Frauen nicht gewollt. Das war ein riesengroßes Unglück. „Jeder muss sich aber darüber im Klaren sein, was für Brandsätze man mit solchen Himmelslaternen in die Luft absetzt“, sagt Dreßen.
Vor dem Jahrestag der Brandkatastrophe wird es wegen der Pandemie eine virtuelle Videokonferenz geben für alle Mitarbeiter, Zoofreunde und andere Betroffene – moderiert durch einen Notfallseelsorger. „Das ist für alle, die darüber sprechen müssen und ihre Gedanken und Gefühle austauschen wollen“, sagt Dreßen. In diesem Jahr bleibt er an Silvester in Krefeld. „Es ist mir natürlich sehr wichtig, vor Ort zu sein“, sagt er.
Info Unter dem Motto „Spenden statt Böllern“kann man den Zoo unterstützen. Konto der Zoofreunde Krefeld e. V., Iban DE42 3205 0000 0000 3177 43.