Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wo Junkies Puppenhäuser reparieren
Seit 15 Jahren gibt es das Projekt Etappe von der Caritas. Dort bekommen vor allem Heroinabhängige, die an einem Substitutionsprogramm teilnehmen, eine Tagesstruktur. Und manchmal sogar einen richtigen Neuanfang.
UNTERBILK Als Teenager hatte Axel nichts am Hut mit Drogen. Einmal probierte er Cannabis, „aber das war nichts“, sagt der 58-Jährige. Er machte einen Schulabschluss, lernte Maurer, hatte einen Job, und dann war da plötzlich diese Neugier gepaart mit falschen Freunden, eine Dummheit, wie er heute sagt. Das war Anfang der 80er. 1983 war er abhängig von Heroin. Immer mal wieder versuchte Axel davon wegzukommen, mal auf eigene Faust, mal in einer Klinik. Immer wieder scheiterte er. Er lebte in einem Hochhaus im Düsseldorfer Norden, „ein Drogenhaus“, sagt Axel, der die Sucht mit Diebstählen finanzierte. „Aber nichts mit Waffen“, sagt Axel. 20 Jahre saß er im Gefängnis.
Irgendwann war der Augenblick da, da musste sich etwas ändern, 2017 begann er mit der Substitution – bei dieser Behandlung bekommen Heroinabhängige einen Ersatzstoff, zum Beispiel Methadon, Buprenorphin, Polamidon oder Subutex. Was oft fehlt im Kampf gegen die Sucht, ist eine Tagesstruktur. „Die meisten haben einen Termin am Tag, und das ist die Substitution“, sagt Dirk Stegemann, der als Sozialarbeiter das Projekt Etappe in Unterbilk betreut. Dort bekommen die Teilnehmer ein niederschwelliges Beschäftigungsangebot, die Arbeitszeiten können individuell vereinbart werden. Das Wichtigste aber sei die Anerkennung für das, was die Abhängigen leisten, „all das, was wir Arbeitnehmer auch bekommen und gern hören“, sagt Stegemann.
Vor 15 Jahren hatte der Caritasverband das Projekt Etappe initiiert, unterstützt vom Gesundheitsamt.
„Vor Kurzem ist auch das Jobcenter eingestiegen“, sagt Stegemanns Kollegin Silke Frey. Seitdem können die Abhängigen länger als zwölf Monate am Programm teilnehmen „und machen einen 1,50-Euro-Job bei uns“. 24 Plätze gibt es bei der Etappe, „zum Stichtag 30. Juni 2020 befanden sich 1619 Menschen in Düsseldorf in einer Substitutionsbehandlung“, sagt eine Sprecherin der Stadt. Das Suchthilfesystem umfasse drei Arbeitsfelder: die Prävention, bei der es um Vorbeugung, Schutz und Stärkung geht, die Überlebenshilfe wie die Sicherung der Grundbedürfnisse und die aussteigorientierte Hilfe.
Die Etappe sei ein eher ausstiegsorientierter Baustein der Versorgung von opioidabhängigen Menschen, sagt die Sprecherin der Stadt. Bei der Drogenhilfe gäbe es ein Programm, bei dem chronisch Opioidabhängige stabilisiert werden, damit sie andere Hilfeangebote annehmen können. „Und der Sozialdienst katholischer Frauen und Männer ist gerade dabei, ein ähnliches Angebot aufzubauen“, sagt die Sprecherin.
„Da ist aber noch Luft nach oben“, findet Dirk Stegemann beim Blick auf seine Warteliste. Mindestens drei Monate müssen sich Interessierte gedulden, bis sie einen Platz bei der Etappe bekommen, „tendenziell länger“. Axel ist seit Februar 2018 dabei, und er weiß, „dass das hier nicht selbstverständlich ist“. Inzwischen kennt er jeden Winkel in den Räumen an der Erftstraße, stolz zeigt der 58-Jährige, was er und die anderen Teilnehmer leisten. Im Garten etwa haben sie einen Kräutergarten angelegt, Tomaten, Blumen und Sträucher wachsen dort. Außerdem haben sie einen Teich gegraben, in dem vier Goldfische schwimmen, eine Wurmkiste verarbeitet den Kompost, „und wir bauen Bienenhotels“, sagt Axel.
Die werden in der neuen Werkstatt produziert, „gerade haben wir einen Auftrag vom Botanischen Garten bekommen, die Nisthilfen wollen“, sagt Silke Frey. Diese Sichtbarkeit und die Kooperationen auch mit Kitas und Pflegeheimen seien es, die die Teilnehmer so motivieren. „Deshalb bringen wir auch oft zusammen reparierte Möbel, Puppenhäuser und Fahrräder in die Einrichtungen zurück“, sagt Stegemann. „Da staunen die nicht schlecht, wenn der Junkie, der gestern noch am Worringer Platz saß, plötzlich sowas gemacht hat“, sagt Axel.
Ob Küche, Garten oder Druckwerkstatt – jede Abteilung hat einen technischen Anleiter, in der Holzwerkstatt ist das der 40 Jahre alte Viktor, der selbst einmal Teilnehmer des Programms war. Er ist über das Teilhabechancengesetz 16i an die Stelle gekommen, eine Maßnahme der Arbeitsagentur zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen. Auf so ein Angebot hofft auch Axel, der sich im Computerbereich spezialisiert hat und gerade für den Europäischen Computerführerschein lernt.
Er ist dankbar, dass die Etappe trotz Corona öffnet, auch wenn jetzt strengere Regeln in der Einrichtung gelten. Maskenpflicht zum Beispiel und das gemeinsame Mittagessen fällt aus. „Aber wir verteilen Lunchpakete“, sagt Silke Frey. „Heute gab es Ofenkartoffel mit Quark und Hähnchenstreifen“, ergänzt Axel. Auch in anderen Einrichtungen laufen die Angebote trotz Pandemie weiter, „dank der hohen Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter“, sagt die Stadtsprecherin.