Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Angespannte Aufmerksamkeit
Die Kanzlerin wirbt um Akzeptanz für die Corona-Regeln – und erlaubt sich ein wenig Optimismus. Auch Armin Laschet ist Thema.
BERLIN Es ist mittlerweile ein vertrautes Bild: Die Kanzlerin tritt vor die blaue Wand, nickt in die Kameras, nimmt Platz und legt die FFP2-Maske ab. Sie sei „sehr gerne wieder hierhergekommen“, sagt Angela Merkel (CDU) an diesem Donnerstagvormittag zu Beginn ihrer Pressekonferenz im großen Saal der Bundespressekonferenz. In den gut 15 Jahren ihrer Kanzlerschaft stand die Kanzlerin noch nie so häufig öffentlich Rede und Antwort wie zu Zeiten der Corona-Pandemie. Lange haftete Merkel der Ruf der intransparenten Krisenkommunikation an. Nun jedoch: Merkel zu Beginn mit Maske, später mit Ausführungen über Virus-Mutationen – als wäre es niemals anders gewesen.
Die Regierungschefin will nach der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz ihr restriktives Corona-Management erklären. Schließlich befinde sich das Land in einer „sehr schwierigen Phase der Pandemie“. Lockdown bis Mitte Februar verlängert, Schulen und Kitas weiterhin dicht, Lockerungen nicht in Sicht – die Kanzlerin wirbt um Akzeptanz und zeigt Verständnis für den Überdruss vieler Menschen in der „Jahrhundertkatastrophe“. „Wenn Zumutungen immer länger dauern, werden sie immer schwerer zu bewältigen“, sagt sie. Die Geduld werde „auf eine extrem harte Probe gestellt“.
Nach Charaktereigenschaften von Merkel gefragt, antworten viele Weggefährten gerne mit „nüchtern“oder „wenig emotional“. Doch angesprochen auf die vielen Todesfälle in Alters- und Pflegeheimen, reagiert die 66-Jährige ganz anders: „Mir bricht das Herz, wenn ich sehe, wie viele Menschen dort einsam gestorben sind.“Die Todeszahlen jeden Tag vorgelegt zu bekommen, das sei auch für sie „emotional extrem schwierig“.
Die Sorge vor einer weiteren Verbreitung von Corona-Mutationen ist groß. Laut Merkel deuten die bisherigen Erkenntnisse darauf hin, dass das mutierte Virus „um ein Vielfaches ansteckender“sei. Auch in Deutschland wurde diese Mutation bereits nachgewiesen, bisher aber ist sie nicht dominant. Man müsse die Verbreitung verlangsamen, um eine dritte, „gegebenenfalls noch heftigere“Welle abzuwenden. „Wir können das noch verhindern“, so die Kanzlerin. Doch Merkel äußert sich auch verhalten optimistisch. Sie spricht von einem „gespaltenen Bild“. Das lässt aufhorchen, hat doch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erst am vergangenen Dienstag beinahe mantra-artig die „gemischte Gefühlslage“beschworen, die das derzeitige Infektionsgeschehen auslöse. Die Parallele in der Wortwahl dürfte kein Zufall sein (siehe Info-Kasten).
Zum „gespaltenen Bild“gehört auch eine andere, positive Seite. Die Zahl der täglichen Neuinfektionszahlen sinkt zwar nur langsam. Aber immerhin, sie sinkt. Auch die Zahl der Intensivpatienten ist rückläufig. „Das zeigt, dass die harten Einschnitte, die die Menschen in Deutschland seit Wochen auf sich nehmen müssen, sich auszuzahlen beginnen“, sagt die Kanzlerin. „Und es zeigt im Grunde, dass sich die Mühe lohnt.“
Die Kanzlerin spricht an diesem Vormittag aber nicht nur über Einschnitte für die Bevölkerung, sondern auch über einen großen persönlichen Einschnitt. In etwas mehr als acht Monaten wird sie nicht
mehr Bundeskanzlerin sein. Und dann steht, unausgesprochen, die Frage nach ihrem Nachfolger wieder im Raum. Der neue CDU-Chef Armin Laschet steht nun vor der großen Herausforderung, sich mitten in der größten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik neben einer Kanzlerin bewähren zu müssen, deren Beliebtheitswerte hoch sind.
Merkel will darin kein Problem sehen. Schließlich sei Laschet der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, sie selbst trage bis zum Ende der Legislatur die Verantwortung als Bundeskanzlerin. „Damit ist die Arbeitsteilung gegeben, und das kann und wird sehr gut gehen.“Wie es nach ihrer Amtszeit weitergeht, darüber entscheide dann die Partei. Sie jedenfalls, unterstreicht sie erneut, trete für kein politisches Amt mehr an. Bis zum Ende ihrer Amtszeit will die Kanzlerin „möglichst vernünftig regieren, und zwar bis zum letzten Tag“. Das Gefühl, das sie dabei begleite, sei eine „angespannte Aufmerksamkeit“– die sich vom fünften Tag ihrer Kanzlerschaft nicht unterscheide.