Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Ausbildung im Ausnahmezustand
Viele Azubis erleben in ihren Branchen zurzeit keinen normalen Start ins Berufsleben. Arbeitgeber berichten aus der Praxis.
Die Berufsausbildung bedeutet für junge Menschen den Eintritt in die große Arbeitswelt. Sie ist ein wichtiger Schritt zum Erwachsenwerden. Doch statt im Betrieb sitzen viele Azubis jetzt in ihren Kinderzimmern. Homeoffice, Kurzarbeit und Lockdown als Konsequenzen der Corona-Pandemie sorgen bei den Berufsanfängern für ein ungutes Gefühl. Einerseits sind da allgemeine Zukunftsängste zur Sicherheit ihres ausgesuchten Jobs und Sorgen, nicht ausreichend auf ihre Prüfungen vorbereitet zu werden, andererseits sind sie noch unerfahren und fühlen sich alleingelassen, wenn der Kontakt zu Kollegen und dem Ausbildungsleiter fehlen. Wir haben uns bei Verantwortlichen umgehört.
„Unsere Auszubildenden haben die Möglichkeit, mobil zu arbeiten. Es ist angedacht, dass sie jeden zweiten Tag im Homeoffice sind. An den Bürotagen werden durch unsere Praxisanleiter Aufgaben besprochen, neue Themengebiete erklärt und Aufgaben für den nächsten Tag im Homeoffice gestellt“, berichtet Benjamin Josephs, Sprecher des Rhein-Kreises Neuss, der aktuell 70 junge Menschen in Verwaltungsund technischen Berufen ausbildet. In Kürze solle außerdem eine Software eingesetzt werden, die es ermöglicht, die PC-Bildschirme über das sogenannte Desktop-Sharing zu teilen. „Dadurch haben unsere Auszubildenden die Möglichkeit, sich auf den Bildschirm ihres Anleiters zu schalten, damit Aufgaben auch beim mobilen Arbeiten visualisiert und erklärt werden können“, erklärt Josephs.
Bei der Stadtsparkasse Düsseldorf war Homeoffice für die Auszubildenden bisher kein Thema. „Sie sind weiterhin in den Geschäftsstellen eingesetzt, natürlich unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen“, sagt Ausbildungsleiter Mathias Neubert. Allerdings fallen seine Besuche vor Ort aus, der Austausch findet über Videokonferenzen statt. Zu Hause arbeiten die angehenden Bankkaufleute nur in den Blockphasen des Berufsschulunterrichts, die wie im Frühjahr 2020 auch aktuell nur als Homeschooling stattfinden. Hier profitierte die Stadtsparkasse Düsseldorf bereits im ersten Lockdown davon, technisch gut ausgestattet gewesen zu sein. „Wir haben eine reine iPad-Klasse, also alle Schüler sind mit Tablets ausgestattet“, erzählt Neubert. Distanzunterricht gibt es auch für die Beamtenanwärter beim Rhein-Kreis Neuss: „Aktuell findet der Unterricht als Online-Kursus statt. Außerdem wurden Klausuren verschoben beziehungsweise sie finden als Online-Prüfung statt“, sagt Benjamin Josephs.
Die Prüfungsvorbereitung sieht Mathias Neubert als besondere Herausforderung unter den Pandemiebedingungen: „Im Nachgang der Prüfungen im vergangenen Jahr haben die Auszubildenden berichtet, dass ihnen die Prüfungssimulation in der Schule fehlte und damit auch die Lernerfolgskontrolle.“
Keine Alternative stellt das Homeoffice für die Gastronomie dar, die seit zehn Monaten nicht mehr im Regelbetrieb ist. Christoph von Borries, Betreiber des Restaurants „Redüttchen“und der Eventlocation „La Redoute“in Bonn, hat im Sommer trotzdem statt des üblichen einen neuen Kochlehrlings noch einen zweiten eingestellt, „weil die Bewerber einfach gut waren“. Im ersten Lockdown wurde die Zeit noch genutzt, um in Projekten Wissen, etwa in Kräuterkunde, zu vermitteln, „was im Normalbetrieb sonst zu kurz kommt“, sagt von Borries. Im zweiten Lockdown hat er eine Kooperation mit der Küche der Uni-Klinik in Bonn vereinbart. Statt frühestens zur Mittagszeit anzufangen, müssen seine
Thorsten Hellwig Dehoga Nordrhein
Auszubildenden jetzt um 5 Uhr morgens antreten. „Das ist natürlich eine Umstellung und auch nicht das, was sie sich bei ihrer Berufswahl vorgestellt haben, weil sie sich durchaus bewusst für einen Beruf entschieden haben, bei dem man später anfängt und dafür abends arbeitet“, erzählt der Gastronom, der eher im Bereich „Fine Dining“tätig ist. Die Arbeit in der Großküche des Krankenhauses sieht er allerdings als gute Erfahrung an und überlegt, sie auch nach der Pandemie als Teil seines Ausbildungsplans beizubehalten. „Die geregelten Arbeitszeiten einer Großküche und der frühe Feierabend kann auch für die jungen Leute von heute in der Zukunft ein Vorteil sein, etwa wenn sie Familie haben“, sagt von Borries, der im laufenden Jahr sogar noch zwei weitere Azubis eingestellt hat, deren frühere Betriebe keine andere Wahl mehr hatten, als sie zu entlassen.
Dass sich die Gastronomen allerdings bemühen, ihre Auszubildenden zu halten und auch bei geschlossenem Betrieb Lerninhalte zu vermitteln, betont Thorsten Hellwig, Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Nordrhein. „Die Beispiele hierfür sind so bunt und innovativ wie die Branche selbst. Viele Betriebe binden ihre Auszubildenden mit ein in den Geschäftsfeldern, die ihnen noch offenstehen, zum Beispiel beim Liefergeschäft oder Take-away. Die besondere Verantwortung und die damit verbundenen Entscheidungsmöglichkeiten empfinden die Nachwuchskräfte oft als eine große Chance“, sagt Hellwig. Er kennt noch weitere Gastronomen wie Christoph von Borries, die ihre Auszubildenden an Kollegen oder Kooperationspartner mit hohem Arbeitsaufkommen ausleihen, zum Beispiel im Health-Care-Bereich oder in der Logistik. „Auszubildende berichten oft, dass diese Einblicke für sie sehr bereichernd sind“, sagt Hellwig.
Auch wenn seine Branche hart betroffen ist in der Corona-Pandemie, so stimmt ihn der Beginn der Impfungen positiv für die Zukunft: „Die Menschen werden ausgehen und reisen wollen. Unsere Branche hat eine enorme Bedeutung für die Lebensqualität der Menschen und das gesellschaftliche Miteinander. Gut ausgebildete Mitarbeiter sind die Voraussetzung dafür, dass wir unseren eigenen Ansprüchen in Sachen Gastfreundschaft gerecht werden können. Deshalb werden wir auch in Zukunft viele gut ausgebildete Mitarbeiter benötigen.“
„Unsere Branche hat eine enorme Bedeutung für die Lebensqualität der Menschen und das gesellschaftliche Miteinander.“