Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Ausgezeichnetes Forscher-Ehepaar
Özlem Türeci und Ugur Sahin haben mit Biontech den ersten Corona-Impfstoff entwickelt. Nun kam die Ehrung im Schloss Bellevue.
BERLIN „Weltenretter“, „Helden des Wissens“, „Ausnahmeforscher“: Das Ehepaar Özlem Türeci und Ugur Sahin ist schon mit zahlreichen Zuschreibungen und Ehrentiteln versehen worden. Die Biontech-Gründer und Entwickler des ersten Impfstoffs gegen das Coronavirus haben seit diesem Freitag eine Würdigung mehr in ihrer Vita: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verleiht den beiden Wissenschaftlern und Unternehmern an diesem Tag für die Entwicklung ihres Corona-Impfstoffs das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland – eine sehr hohe Stufe des Bundesverdienstkreuzes.
Und er geizt dabei nicht mit großen Worten: Steinmeier würdigt Türeci und Sahin als visionäre Unternehmer und Wissenschaftler, denen es gelungen sei, im richtigen Moment „das Entscheidende“zu tun. „Der Impfstoff, den Sie entwickelt haben, ist ein Dienst an der Menschheit – deshalb sind wir heute hier“, sagt er. Dieser rette nicht nur Leben und Existenzen, sondern das gesellschaftliche wie auch kulturelle Überleben der Menschheit.
Die Gründer der Biotech-Firma hätten es als ihre Pflicht angesehen, ihr Wissen in der Pandemie zu nutzen und entsprechend zu handeln. Das hätten sie mit Leidenschaft, wissenschaftlichem Ehrgeiz und Hingabe getan, betont Steinmeier. Er sei zutiefst beeindruckt vom Mut, der Tatkraft und vom Vertrauen ins Gelingen, das die beiden Forscher zeigten. Ihre Geschichte ist fürwahr einmalig: Beide sind Kinder türkischer Einwanderer. Sahin zog im Alter von vier Jahren mit seiner Familie nach Köln, wo sein Vater bei Ford arbeitete. Türeci wuchs im Landkreis Cloppenburg auf, ihr Vater arbeitete als Arzt in einem katholischen Krankenhaus.
Die beiden lernten sich in ihrer medizinischen Ausbildung an der Uniklinik im saarländischen Homburg kennen.
Ihr Mainzer Start-up-Unternehmen Biontech ist auf die sogenannte Boten-RNA-Technologie spezialisiert, mit der ursprünglich vor allem Hoffnungen auf bessere Krebstherapien verbunden waren. In der Corona-Krise erwies sich der Ansatz auch bei der Impfstoffentwicklung als erfolgreich. Der von Biontech
und seinem US-Partner Pfizer hergestellte Impfstoff war weltweit der erste, der zugelassen wurde. Er wird heute massenhaft eingesetzt. Schon seit dem 27. Dezember wird er in Deutschland verabreicht.
Diese erste Verimpfung sei für das Paar ein „emotionaler Moment“gewesen, beschreibt es Steinmeier, der zuvor mit den beiden allein gesprochen hatte. Der Bundespräsident weist noch auf etwas anderes hin: Auf den Nationalismus in der Krise.
Beim Erfolg von Türeci und Sahin habe es Versuche gegeben, diesen für ein einzelnes Land zu reklamieren. „Ein Impfstoff aber hat keine Nationalität – er ist weder deutsch noch türkisch, er ist auch nicht amerikanisch“, sagt er. Allein Biontech habe weltweit 2000 Mitarbeiter aus 60 Nationen unter Vertrag.
„Danke, dass Sie uns für würdig befinden“, sagt die 54-jährige Türeci in ihrer kurzen Ansprache und dankt ihrem internationalen Team und ihren Kooperationspartnern. Sie und ihr Mann hätten sich im Wettlauf gegen das Virus befunden. Dabei habe sich die Biologie aber auch als gnädig erwiesen. Am Ende stehe die Erkenntnis: Das Virus sei bezwingbar. „Mut, gepaart mit Demut“treibe sie und ihren Mann an. Ihr Team zeichne ein „Miteinander, gepaart mit maximaler Verantwortungsübernahme Einzelner aus“. Aus der ganzen Welt erreichten das Mainzer Unternehmen gerade Bilder
von Menschen, die Impfungen ihrer Liebsten schickten. „Das Licht im Dunkel wird heller“, schließt sie ihre kurze Ansprache.
Ihr Mann verweist darauf, dass in der der Pandemie „zwei Drittel des Wegs“bereits bewältigt worden seien. Allerdings würden „die nächsten sechs Monate“allen Menschen im Land noch einiges abverlangen. Die dritte Welle lasse sich aufgrund der neuen Variante schwieriger kontrollieren. Es werde alles getan, dass jeder, der einen Impfstoff erhalten wolle, ihn bis zum Ende dieses Sommers bekomme.
Mit Blick auf die Impfstoffdebatten betont der 55 Jahre alte Forscher, man müsse pragmatisch vorgehen: „Pragmatismus ist nicht das Gegenteil von Perfektionismus, sondern der Weg dahin“. Es sei vor allem wichtig, „dass keine Impfstoffdosis“verschwendet werde.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wohnt der kurzen Zeremonie persönlich bei. Auch sie ist beeindruckt von den bescheidenen Wissenschaftlern, die vor allem die Neugier an der Forschung antreibt. Merkel, selbst Physikerin, äußerte bereits bei mehreren Gelegenheiten ihren hohen Respekt vor dem Paar.
Die Ehrung im Schloss Bellevue ist die erste persönliche Ordensverleihung des Bundespräsidenten in diesem Jahr. Steinmeier geht in seiner Laudatio auch noch auf die dritte Welle der Pandemie in Deutschland ein, die gerade alle viel Kraft koste.
Dabei ruft er zu „mehr Pragmatismus“in den Debatten um eine Beschleunigung der Corona-Impfkampagne auf. Das Land verbrauche „viel Kraft auf der Suche nach dem Schuldigen des Tages“, sagt der Bundespräsident. Diese Kraft brauche die Gesellschaft derzeit dringender „an anderer Stelle“. Türeci lächelt. Sie, ihr Mann und ihr Team setzen bereits ihre ganze Kraft ein – zum Wohle aller.