Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der Bundesrat ist überflüssig
Angenommen, Sie haben Kinder. Gehen die Kleinen gerade zur Schule, oder sind sie noch im Homeschooling? Gehen sie jeden Tag oder nur jeden zweiten? Immer vormittags oder im Wechsel? Ihre Antworten geben uns einen Hinweis auf Ihren Wohnsitz. 16, in Worten: sechzehn, Länder der Bundesrepublik machen, was sie wollen. Nicht nur in Corona-Zeiten. Deutschland leistet sich derart viele verschiedene Systeme, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Die sogenannte Bildungsvielfalt im Föderalismus taugt höchstens für Sonntagsreden der Kultusminister. Im realen Alltag der Familien oder den Pisa-Studien findet sich kein Argument mehr zur Verteidigung dieses alten Zopfes.
Warum tut sich eine erfolgsverwöhnte Nation diesen Wahnsinn an? Kein heute erfolgreiches Unternehmen wäre wettbewerbsfähig geblieben, hätte es seine Strukturen nicht regelmäßig überprüft und angepasst. Für Deutschland ist dieser Moment überfällig und geeigneter denn je. Die Kernfragen lauten: Welche politischen und staatlichen Institutionen brauchen wir, und mit welcher Macht müssen wir sie ausstatten?
Erstens: Die Einbettung in Europa stellt niemand mehr ernsthaft infrage. Gerade aus ökonomischer Sicht sind die gewonnenen Freiheiten fast unbezahlbar. Der Brexit und die negativen Folgen verdeutlichen den Mehrwert der europäischen Integration spürbar. Standards im Umwelt- oder Arbeitsschutz sind Beispiele für die unbedingte Zuständigkeit der EU, damit ruinöser Dumping-Wettbewerb unter den Mitgliedern keine Chance hat.
Zweitens: Den Nationalstaat wird absehbar niemand zur Disposition stellen wollen. Seine Kompetenzen, die Souveränität seiner Bevölkerung und auch der sozialen Ordnung zu sichern, sind unbenommen.
Drittens: Konkret werden Politik und Verwaltung immer vor Ort. Da, wo die Genehmigung erteilt oder versagt wird, wo die Schule gebaut, die Industriebrache renaturiert oder für Neuansiedlungen brauchbar gemacht wird, wo unsere direkten Lebensverhältnisse gestaltet werden, ist die Region, in der wir zu Hause sind. Dort wird weiterhin auch die wirtschaftliche Zukunft entschieden. Metropolregionen sind in den vergangenen Jahren aus dem Boden geschossen, weil die Kommunalpolitik verstanden hat, worum es geht: Synergien zu heben, in enger Verzahnung der Unternehmen mit der Wissenschaft, über Zuständigkeitsgrenzen hinweg und immer „nah bei die Leut“, pragmatisch am Erfolg orientiert.
Jetzt bleibt die entscheidende Frage: Passt die föderale Gliederung unseres Staates zu den modernen Anforderungen? Der Föderalismus erkauft sich von Anfang an durch reichlich Geldverteilung seine Existenzberechtigung. Geld, das Bundesländer in den meisten Fällen selbst gar nicht haben, sondern das ihnen von den anderen Schicksalsgenossen gnädigerweise überwiesen wird. Länderfinanzausgleich heißt das. Ich nenne es Hospizbewegung, da viele Länder ohne Hilfe Dritter gar nicht überlebensfähig wären. Die Stärkeren gewähren die Euros aber gern, denn der Zusammenbruch des Ersten würde die Systemfrage auf die Tagesordnung heben.
Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem man handeln muss: eine Reduzierung auf fünf oder sechs Bundesländer mit administrativen Aufgaben im Rahmen der Auftragsverwaltung – und, historisch begründet, mit der Zuständigkeit für die Polizei. Mehr braucht es nicht.
Was hindert uns? Das Grundgesetz? Im Gegenteil, Artikel 29 sieht die Möglichkeit
Der Länderfinanzausgleich ist eine Hospizbewegung, da viele Länder ohne Hilfe nicht überlebensfähig wären
einer Reform ausdrücklich vor. Landsmannschaftliche Verbundenheit? Man ist seit jeher gerne und bewusst Franke, Schwabe oder Emsländer, ohne dass man dazu ein eigenes Bundesland gebraucht hätte. Auch fühlt sich doch kein Mensch als Niedersachse. Man ist Ostfriese, Heidjer oder auch Hannoveraner. Gemeinsam ist allen die Verwaltungseinheit des Landes, sonst nichts.
Gerade in einer globalisierten Wirtschaft brauchen wir keine undurchsichtige Vielstaaterei, sondern eine Bündelung von Kompetenzen. Während mancher Ministerpräsident noch den föderalen Wettbewerb lobt, lachen die eigentlichen Wettbewerber sich kaputt über unsere bewegungs- und anpassungsunfähige Verwaltung. 16 Landesvertretungen in Peking, New York oder Istanbul scharwenzeln um die dortigen Entscheidungsträger herum, um ihr Gewerbegebiet in Hintertupfingen ins kollektive Bewusstsein der internationalen Investoren zu hämmern. Irrsinnig wird es, wenn sich Bundesländer untereinander mit Hilfe von Subventionen schon existierende und gewachsene Unternehmen abjagen; ein Nullsummenspiel zulasten des Steuerzahlers.
Sollten Sie bis hierhin noch nicht überzeugt gewesen sein, sollten Ihnen die vergangenen Tage die Augen geöffnet haben. Die Zusammentreffen der Länder mit der Kanzlerin offenbaren die vollkommene Unzulänglichkeit unseres Systems, organisierte Verantwortungslosigkeit statt klarer Linie.
Im Februar 2021 fand die 1000. Sitzung des Bundesrates statt. Hoffentlich kommen nicht noch einmal so viele zustande. Ein nahezu unparlamentarischer Ort ohne Zwischenrufe, geschweige denn Beifallsbekundungen, geprägt von Geschäften auf Gegenseitigkeit. Der Standort Deutschland mit seinen Unternehmen und Beschäftigten braucht das für seinen Erfolg ganz sicher nicht. Was Deutschland braucht, ist der Mut, die eigene innere Organisation den Erfordernissen und Chancen des 21. Jahrhunderts anzupassen: mit einem starken Europa, einer handlungsfähigen Zentrale in Berlin und mit leistungsfähigen Regionen als lokale Basis.