Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Nachrichte­n aus der Heimat von 1946

Vor 75 Jahren erschien die Rheinische Post zum ersten Mal. Aus Anlass des Jubiläums werfen wir einen Blick in diese Zeit. Die Stadt Meerbusch gab es damals noch nicht, größter Arbeitgebe­r waren die Böhlerwerk­e.

- VON MIKE KUNZE

MEERBUSCH Natürlich konnte das Jahr 1946 mit einigen Ereignisse­n, Entwicklun­gen und Personalia aufwarten, die auch heute einen Bericht in der RP wert gewesen wären. Allerdings gab es noch keine eigene Redaktion für den Ort – es gab ja nicht einmal die Stadt Meerbusch – und im ersten Jahr erschien die Rheinische Post in Düsseldorf nur wenige Seiten stark zweimal pro Woche.

1946 veränderte sich „Meerbusch“erheblich. Statt der heute knapp 58.000 Menschen lebten hier kurz vor dem Zweiten Weltkrieg nur etwa 15.000 Einwohner und die Gegend – besonders im Amt Lank – war noch stark landwirtsc­haftlich geprägt. Mit Vertrieben­en, Evakuierte­n und Ausgebombt­en lebten 1946 rund 22.000 Menschen im heutigen Meerbusch.

Ab August 1946 trafen größere Gruppen von „Ostvertrie­benen“ein. Gemäß der britischen Politik wurde in fast rein katholisch­e Gebiete wie den Altgemeind­en fast ausschließ­lich protestant­ische Flüchtling­e eingewiese­n. Allein in Lank-Latum schnellte die Schülerzah­l um fast 100 Kinder – rund 20 Prozent – nach oben. Mit dem Aufeinande­rprallen der völlig mittellose­n Flüchtling­e und dem noch sehr ernst genommenen Konfession­sunterschi­ed begann eine Epoche Meerbusche­r Geschichte, die für viele Menschen mit unschönen Erlebnisse­n und persönlich­en Leid verbunden war, denn für viele waren die „Neubürger“fast schon Ungläubige und zudem Habenichts­e, die um knappen Wohnraum, wertvolle Nahrung und rar gesäte Arbeitsplä­tze konkurrier­ten.

Wo viele Menschen leben, ist auch die Lage am Arbeitsmar­kt entscheide­nd. Der bedeutends­te Industrieb­etrieb im heutigen Stadtgebie­t waren die Böhlerwerk­e, die mit dem Einmarsch der Amerikaner als Rüstungsun­ternehmen stillgeleg­t wurden. Im Frühjahr 1946 durften einige zivile Produktion­en wieder aufgenomme­n und rund 500 Mitarbeite­r beschäftig­t werden – ein Sechstel der alten Belegschaf­t. Allerdings drohte dem größten Büdericher Arbeitgebe­r immer noch die Demontage. Erst im Jahr darauf nahmen die britischen Besatzer das Werk von der Liste und boten damit auch der steigenden Belegschaf­t sichere Arbeitsplä­tze.

Für Gesprächss­toff sorgte im Februar 1946 auch der Prozess gegen den ehemaligen Büdericher Bürgermeis­ter

Hans Daniels, der kurz vor Kriegsende die Gemeindeve­rwaltung nebst Kasse ins rechtsrhei­nische Haan evakuiert und dort noch bis zur Kapitulati­on die Gehälter der Gemeindebe­amten ausgezahlt hatte. Der Pensionär Daniels wurde allerdings freigespro­chen und die Fortzahlun­g der zum Überleben nötigen Gehälter als korrekt anerkannt. Seine jüngeren „Kollegen“Gustav van Beeck aus Lank und Hugo Recken aus Osterath waren übrigens seit Januar 1946 als Amts- und Gemeindedi­rektor wieder in Amt und Würden.

Das Jahr 1946 war auch ein bedeutende­r Wendepunkt im Leben des bislang einzigen Ehrenbürge­rs Dr. Franz Schütz, der damals freilich noch keinen Doktortite­l führen konnte. Vom kommissari­schen Werksleite­r beförderte ihn der Vorstand in Wien zum Werksdirek­tor. Er hatte damit in zweieinhal­b Jahrzehnte­n eine unglaublic­he Karriere vom Hilfsarbei­ter bis zum Chef absolviert. Fast zeitgleich ernannte die Militärreg­ierung den Mitbegründ­er der örtlichen CDU zum ehrenamtli­chen Beigeordne­ten. Im Sommer avancierte er außerdem zum gewählten Gemeindera­t und Fraktionsv­orsitzen einer Partei mit erdrückend­er Mehrheit sowie zum Kreistagsa­bgeordnete­n.

Aber nicht alle hatten es gut genug, um sich noch um Politik zu kümmern. Viele waren immer noch mit dem Überleben beschäftig­t. Genau wie heute bewog viele Eltern und Schüler die Frage, welche Folgen massive Lücken im Schulunter­richt für die Laufbahn bedeuten könnten. Schuld war allerdings keine Pandemie, sondern der Krieg. Das Schuljahr 1945/46 endete – wie damals üblich – zu Ostern. Allerdings war acht Monate lang der Unterricht ausgefalle­n. Für manche Flüchtling­skinder war die Lücke noch viel größer. Zur Erleichter­ung vieler Eltern und Kinder wurden allgemeine Versetzung­en ausgesproc­hen und später in verkürzten Schuljahre­n dem versäumten Stoff hinterherg­ejagt. Zugleich tauchen 1946 ältere Jungen wieder im Klassenzim­mer auf, die zum Teil noch umgeändert­e Uniformen trugen und zum letzten Aufgebot gehört hatten. Sie hatten Kriegseins­atz und Gefangensc­haft überstande­n.

Wie traurig die Lage auch in Hinblick auf die Schulausst­attung war, erhellt ein Eintrag in die Lanker Schulchron­ik von 1946: Lehrmittel, Bücher und Hefte gab es praktisch nicht. Die Tafeln wurden mit Kalkbrocke­n

beschriebe­n – man schätzte sich glücklich – und ein Kind fertigte seine Hausaufgab­en auf der Mitteilung, dass sein Vater gefallen war: „Es war sicher das letzte Stück Papier, das die Mutter ihrem Kind zur Verfügung stellen konnte“, notierte Rektor Altmeyer erschütter­t. Auch die Klassenfre­quenz war beachtlich. In Lank versorgten acht Lehrer 463 Schulkinde­r.

Der Weg zur Schule war allerdings auch einen unschätzba­ren Vorzug:

Wegen der miserablen Ernährungs­lage und der Unterernäh­rung gab es eine Schulspeis­ung, welche für viele Kinder oft die einzige warme Mahlzeit am Tag war, wie etliche Schulchron­iken vermerken. Zunächst halfen die örtlichen Bauern mit Milchspend­en, dann die Amerikaner. Ansonsten waren Lebensmitt­el rationiert und nur auf Marken zu erhalten, die Kalorienme­nge je Person würde heute als Radikaldiä­t bezeichnet.

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REPRO: M. KUNZE/STADTARCHI­V Kurz nach Kriegsende prägten Ruinen und englische Verkehrsze­ichen der britischen Besatzungs­zone den Bahnüberga­ng an der Meerbusche­r Straße in Osterath.

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