Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Diese Mäuse sind nicht wirklich lieb“
Weder verniedlicht noch vermenschlicht: Die Kostümbilderin spricht über ihre Arbeit fürs Kinderstück „Der überaus starke Willibald“.
DÜSSELDORF Das Junge Schauspiel verkürzt die Sommerpause und veranstaltet die erste Premiere der Saison als Open-Air auf dem Gründgens-Platz: Am 13. August tanzen im Kinder-Musical „Der überaus starke Willibald“die Mäuse. In der Parabel von Willi Fährmann kommen spektakuläre Kostüme zum Einsatz. Entworfen hat sie Cátia Palminha, die am Jungen Schauspiel mit Regisseur Robert Gerloff bereits bei „Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“und „Das doppelte Lottchen“zusammengearbeitet hatte.
Frau Palminha, welche Art von Mäusen schwebte Ihnen vor?
PALMINHA Auf keinen Fall Klischeemäuse à la Micky Maus. Ich wollte sie weder vermenschlichen noch mit Schnäuzchen, Öhrchen und Schwänzchen verniedlichen. Das hätte nicht gepasst, die Mäuse in dieser Geschichte sind nicht wirklich lieb. Und auch nicht zivilisiert. Sie können nicht lesen, wissen nicht einmal, was Elektrizität ist. Das sollte sich auch optisch ausdrücken.
Werden die Kinder diese ungewohnte Darstellung schlucken?
PALMINHA Man darf sie nicht für dumm verkaufen. Jedem Kind ist klar, dass Menschen in diesen Kostümen stecken. Bei mir sprang der Funke zum Theater sehr früh über, ich fand es schön, wenn sich jemand Mühe mit der Ausstattung gegeben hat. Meine Kostüme sollten nicht gruselig sein, aber authentisch und so ernsthaft wie das Stück. Robert Gerloff lässt viel Leichtes und Spielerisches in seine Inszenierungen fließen, dadurch stimmt die Balance.
Hatten Sie beim Lesen des Buches gleich eine Vision?
PALMINHA Wir diskutierten viel über die szenische Umsetzung. Erst gab es die Idee einer totalen Abstraktion. Das hätte ich auch gemocht. Doch dann merkten wir, wie gut das Stück mit Realismus funktioniert. Die rostigen Fässer des Bühnenbildes waren ja auch realistisch, das musste harmonieren. Ich hatte drei mögliche Ästhetiken im Kopf und wusste bald, es konnte nur diese eine geben.
Welche Materialien haben Sie verwendet?
PALMINHA Mit Aquariumgras, straff, aber leichtgewichtig, stopfte ich die Bäuche aus und formte die Figuren. Die Mäusekostüme sind aus alten Kaffeesäcken geschneidert. Deren grobe Struktur erinnert an Fell, ohne Fell zu sein.
Charakteristische Schwänze haben Ihre Mäuse auch. Sind die Anhängsel auf der Bühne nicht hinderlich?
PALMINHA Das mag sein. Gleichzeitig
werden sie wie eine Requisite kreativ und wandelbar eingesetzt. Bei den Proben gab es lustige Szenen. Den Kindern wird dieses Spielmittel gefallen, sie können mit ihrer Fantasie aus wenig viel machen.
Bei den Köpfen haben Sie sich technischer Raffinessen bedient. PALMINHA Ich wollte keine Masken für die Mäuse. Das sieht toll aus, nimmt den Schauspielern aber ihr wichtigstes Ausdrucksmittel – ihr Gesicht und ihre Mimik. Visiere fand ich zu anfällig, da geht beim Auf- und Zuklappen schnell etwas kaputt. Eine kleine Bewegung sollte
genügen. Jetzt sitzt der Kopf auf einem Träger wie beim Fahrradhelm. Gucken die Schauspieler ins Publikum, sieht man ihr Gesicht. Mit gesenktem Kopf sind sie nur noch Mäuse und mutieren zum unterwürfigen Rudel.
Warum entwerfen Sie die Schuhe immer zuerst?
PALMINHA Ich weiß, wie wichtig den Künstlern ihre Schuhe sind. Das kennt man von sich selbst auch. Es macht einen Unterschied, ob man Sneakers oder Pumps trägt, das verändert die Haltung. Meine Kostüme sollten die Geschichte unterstützen, nicht nur ästhetisch, auch emotional. Der passende Schuh kann Gefühle transportieren und geschmeidig in die Rolle hineintragen.
Für „Das doppelte Lottchen“mussten Sie 50 Kostüme entwerfen, hinter der Bühne gab es blitzschnelle Wechsel. Dagegen wirken die sechs Mäuse geradezu harmlos. PALMINHA O ja, das war sportlich. Nicht nur die Kostüme wurden ausgetauscht, sondern die kompletten Figuren. Zuvor hatte ich einige Mal für Frank Castorf gearbeitet, bei diesem Regisseur waren solche Wechsel in Rekordzeit üblich. Eine gute Schule. Aber jede Inszenierung hat ihre besondere Herausforderung.
Nach dem Grafik- und Designstudium machten Sie eine Ausbildung zur Maßschneiderin. Wussten Sie da schon Ihren Weg?
PALMINHA Eine logische Entwicklung. Seit dem Kindergarten war ich ins Theater vernarrt. Als reiselustige junge Frau kam ich in Neuseeland und in der Mongolei wie selbstverständlich mit Textilien in Berührung. Eine alte Mongolin brachte mir das Filzen bei. Ich war auch in Indien, Island, Brasilien und Skandinavien, habe überall etwas gelernt. Bis ich irgendwann am Ziel meiner Wünsche war.
Was ist Ihnen wichtig bei Ihrer Arbeit?
PALMINHA Jeder Figur will ich ihren eigenen Charakter geben, und sei die Rolle noch so winzig. Es darf nie langweilig sein, meine Kostüme anzuschauen. Wenn jeder seinen Spaß daran hat, Kinder wie Erwachsene, dann bekommt Theater etwas Magisches.
REGINA GOLDLÜCKE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.