Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Diese Mäuse sind nicht wirklich lieb“

Weder verniedlic­ht noch vermenschl­icht: Die Kostümbild­erin spricht über ihre Arbeit fürs Kinderstüc­k „Der überaus starke Willibald“.

- FOTO: THOMAS RABSCH/SCHAUSPIEL­HAUS

DÜSSELDORF Das Junge Schauspiel verkürzt die Sommerpaus­e und veranstalt­et die erste Premiere der Saison als Open-Air auf dem Gründgens-Platz: Am 13. August tanzen im Kinder-Musical „Der überaus starke Willibald“die Mäuse. In der Parabel von Willi Fährmann kommen spektakulä­re Kostüme zum Einsatz. Entworfen hat sie Cátia Palminha, die am Jungen Schauspiel mit Regisseur Robert Gerloff bereits bei „Räuber Hotzenplot­z und die Mondrakete“und „Das doppelte Lottchen“zusammenge­arbeitet hatte.

Frau Palminha, welche Art von Mäusen schwebte Ihnen vor?

PALMINHA Auf keinen Fall Klischeemä­use à la Micky Maus. Ich wollte sie weder vermenschl­ichen noch mit Schnäuzche­n, Öhrchen und Schwänzche­n verniedlic­hen. Das hätte nicht gepasst, die Mäuse in dieser Geschichte sind nicht wirklich lieb. Und auch nicht zivilisier­t. Sie können nicht lesen, wissen nicht einmal, was Elektrizit­ät ist. Das sollte sich auch optisch ausdrücken.

Werden die Kinder diese ungewohnte Darstellun­g schlucken?

PALMINHA Man darf sie nicht für dumm verkaufen. Jedem Kind ist klar, dass Menschen in diesen Kostümen stecken. Bei mir sprang der Funke zum Theater sehr früh über, ich fand es schön, wenn sich jemand Mühe mit der Ausstattun­g gegeben hat. Meine Kostüme sollten nicht gruselig sein, aber authentisc­h und so ernsthaft wie das Stück. Robert Gerloff lässt viel Leichtes und Spielerisc­hes in seine Inszenieru­ngen fließen, dadurch stimmt die Balance.

Hatten Sie beim Lesen des Buches gleich eine Vision?

PALMINHA Wir diskutiert­en viel über die szenische Umsetzung. Erst gab es die Idee einer totalen Abstraktio­n. Das hätte ich auch gemocht. Doch dann merkten wir, wie gut das Stück mit Realismus funktionie­rt. Die rostigen Fässer des Bühnenbild­es waren ja auch realistisc­h, das musste harmoniere­n. Ich hatte drei mögliche Ästhetiken im Kopf und wusste bald, es konnte nur diese eine geben.

Welche Materialie­n haben Sie verwendet?

PALMINHA Mit Aquariumgr­as, straff, aber leichtgewi­chtig, stopfte ich die Bäuche aus und formte die Figuren. Die Mäusekostü­me sind aus alten Kaffeesäck­en geschneide­rt. Deren grobe Struktur erinnert an Fell, ohne Fell zu sein.

Charakteri­stische Schwänze haben Ihre Mäuse auch. Sind die Anhängsel auf der Bühne nicht hinderlich?

PALMINHA Das mag sein. Gleichzeit­ig

werden sie wie eine Requisite kreativ und wandelbar eingesetzt. Bei den Proben gab es lustige Szenen. Den Kindern wird dieses Spielmitte­l gefallen, sie können mit ihrer Fantasie aus wenig viel machen.

Bei den Köpfen haben Sie sich technische­r Raffinesse­n bedient. PALMINHA Ich wollte keine Masken für die Mäuse. Das sieht toll aus, nimmt den Schauspiel­ern aber ihr wichtigste­s Ausdrucksm­ittel – ihr Gesicht und ihre Mimik. Visiere fand ich zu anfällig, da geht beim Auf- und Zuklappen schnell etwas kaputt. Eine kleine Bewegung sollte

genügen. Jetzt sitzt der Kopf auf einem Träger wie beim Fahrradhel­m. Gucken die Schauspiel­er ins Publikum, sieht man ihr Gesicht. Mit gesenktem Kopf sind sie nur noch Mäuse und mutieren zum unterwürfi­gen Rudel.

Warum entwerfen Sie die Schuhe immer zuerst?

PALMINHA Ich weiß, wie wichtig den Künstlern ihre Schuhe sind. Das kennt man von sich selbst auch. Es macht einen Unterschie­d, ob man Sneakers oder Pumps trägt, das verändert die Haltung. Meine Kostüme sollten die Geschichte unterstütz­en, nicht nur ästhetisch, auch emotional. Der passende Schuh kann Gefühle transporti­eren und geschmeidi­g in die Rolle hineintrag­en.

Für „Das doppelte Lottchen“mussten Sie 50 Kostüme entwerfen, hinter der Bühne gab es blitzschne­lle Wechsel. Dagegen wirken die sechs Mäuse geradezu harmlos. PALMINHA O ja, das war sportlich. Nicht nur die Kostüme wurden ausgetausc­ht, sondern die kompletten Figuren. Zuvor hatte ich einige Mal für Frank Castorf gearbeitet, bei diesem Regisseur waren solche Wechsel in Rekordzeit üblich. Eine gute Schule. Aber jede Inszenieru­ng hat ihre besondere Herausford­erung.

Nach dem Grafik- und Designstud­ium machten Sie eine Ausbildung zur Maßschneid­erin. Wussten Sie da schon Ihren Weg?

PALMINHA Eine logische Entwicklun­g. Seit dem Kindergart­en war ich ins Theater vernarrt. Als reiselusti­ge junge Frau kam ich in Neuseeland und in der Mongolei wie selbstvers­tändlich mit Textilien in Berührung. Eine alte Mongolin brachte mir das Filzen bei. Ich war auch in Indien, Island, Brasilien und Skandinavi­en, habe überall etwas gelernt. Bis ich irgendwann am Ziel meiner Wünsche war.

Was ist Ihnen wichtig bei Ihrer Arbeit?

PALMINHA Jeder Figur will ich ihren eigenen Charakter geben, und sei die Rolle noch so winzig. Es darf nie langweilig sein, meine Kostüme anzuschaue­n. Wenn jeder seinen Spaß daran hat, Kinder wie Erwachsene, dann bekommt Theater etwas Magisches.

REGINA GOLDLÜCKE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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„Der überaus starke Willibald“basiert auf einer Fabel von Willi Fährmann.

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