Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Mit Fruchtfliegen gegen den Darmkrebs
Genetiker der Uni sehen neue Therapieansätze für die Erkrankung. Dabei werden die Tumorzellen ausgehungert.
DÜSSELDORF Die Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) lebt etwa 60 Tage – und in dieser Zeit fällt sie auch dadurch auf, dass sie Pflaumenkuchen ebenso liebt wie der Mensch. Aber es gibt noch ganz andere Ähnlichkeiten, auf die man nach Augenschein nie kommen würde: Ihre Gene sind zu rund 80 Prozent denen des Menschen gleich, auch ein Großteil derjenigen, die als Ursache für Krankheiten bekannt sind. Das macht Drosophila zu einem begehrten Modell-Organismus für die Wissenschaft – auch für Genetiker der Uni Düsseldorf, die die Grundlagen für neue Krebstherapien schaffen wollen.
Darmkrebs zählt zu den häufigsten Tumorerkrankungen und zu den gefährlichsten. Bei Männern ist Darmkrebs die zweithäufigste (krebsbedingte) Todesursache, bei Frauen die dritthäufigste. Klinisch wird die Erkrankung in vier Schweregrade unterteilt: in den ersten beiden sind die Krebszellen auf die Darmwand beschränkt, und bei früher Entdeckung und Behandlung gibt es gute Heilungs-Chancen. Breitet sich der Tumor allerdings auf die Lymphknoten aus oder haben sich Metastasen in anderen Körperregionen festgesetzt, sinken die Überlebenschancen rapide.
Die Forschung des Biologen Tobias Reiff vom Institut für Genetik der Uni basiert auf folgender Erkenntnis: Wie alle Körperzellen brauchen Darm-Stammzellen Energie, um zu wachsen und sich zu teilen. Die Kraft tanken sie aus Nährstoffen wie Kohlehydrate, Proteine und Fettsäuren. Und der Darm braucht eine Menge
Energie, denn seine Zellen erneuern sich zwischen drei und fünf Tagen komplett – „so schnell wie bei keinem anderen Organ“, erläutert Reiff.
Seine Forschungsgruppe konnte nun in Zusammenarbeit mit Kollegen in Philadelphia nachweisen, dass Tumorzellen (die letztlich fehlgesteuerte Darmstammzellen sind) für ihr Wachstum ebenfalls auf Nährstoffe angewiesen sind, speziell auf solche, die beim Fettsäureabbau im Darm entstehen. Dafür wurden Millionen Datensätze mithilfe von Algorithmen analysiert. Ein weiteres Ergebnis: Für den Fettsäureabbau in den Darmzellen sind bestimmte Enzyme unbedingt notwendig. Und nun kommt die Fruchtfliege ins Spiel.
Das Erbgut der Insekten wurde bereits im Jahr 2000 entschlüsselt, seitdem ist auch bekannt, dass Drosophila 90 Prozent der Gene besitzt, die beim Menschen Krebs auslösen. „Außerdem ist das Darmgewebe der Fliege in Struktur und Funktion dem menschlichen sehr ähnlich“, so Tobias Reiff. Denn auch bei den Insekten erneuern Darmstammzellen das Organ ständig und lebenslang. Die Wissenschaftler konnten in einer früheren Studie bereits nachweisen, „dass menschliche Gene in die Fliege verpflanzt werden können und dort weiterhin ihre Funktion erfüllen.“
Für Aufsehen in der Fachwelt sorgte nun ein weiterer Schritt: Dem Team ist es gelungen, gezielt die Enzyme zu entfernen, die für den Fettsäureabbau wichtig sind – und somit den Tumorzellen die Energiezufuhr zu kappen. „Wir konnten im lebenden
Tiermodell nachweisen, dass dadurch eine drastische Reduktion des Darmkrebs-Wachstums erreicht wird“, so Reiff. Heißt: Durch die Methode werden die Tumorzellen ausgehungert. Die Erkenntnis ist nach Einschätzung des Wissenschaftlers auch deshalb wichtig: Stammzellen des Darms seien dafür bekannt, sich sowohl Strahlen- als auch Chemotherapie zu widersetzen und Metastasen zu bilden. Sein Ziel: Dass auf der Basis der neuen Erkenntnisse gezielte Therapieansätze entwickelt werden, um Darmkrebs in Zukunft individuell behandeln zu können. Bis es soweit ist, wird sicher noch eine Weile vergehen. Aber Tobias Reiff ist zuversichtlich, neue Wirkstoffe und deren Kombinationen zu erproben – dank der Fruchtfliege.