Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Die Kapriolen des Monsieur M.
Erst wollte Charles Michel den Posten als EU-Ratspräsident abgeben, nun doch nicht.
Es kam aus heiterem Himmel zum Auftakt des Europawahljahres, als EU-Ratspräsident Charles Michel ankündigte, nicht bis zum Ende seiner Amtszeit am 30. November die Verantwortung für die Treffen der Staats- und Regierungschefs tragen zu wollen, sondern bei den Wahlen für die belgischen Liberalen antreten und am 9. Juni ins Europaparlament einziehen zu wollen. Die Protestwelle gegen diesen Schritt ist gerade abgeebbt, die Pläne für eine schnelle Nachfolgeregelung sind bereits im Gange, da überrascht Michel mit einer neuen Volte: Er wolle nun doch nicht kandidieren, sondern bis Ende November Ratspräsident bleiben.
Unter den Verantwortlichen löste das Kopfschütteln aus. „Der Europäische Rat und das Amt seines Präsidenten leiden unter dem unüberlegten Zickzackkurs und der Selbstprofilierung von Herrn Michel“, sagte David McAllister, Unionspolitiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EUParlaments, unserer Redaktion. Der Vorsitzende der FDP-Abgeordneten im Europaparlament, Moritz Körner nannte den Zickzackkurs seines Parteifreundes „befremdlich“. Er fügte hinzu: „Es ist aber gut, dass er Ratspräsident bleibt und nicht der Demokratie-Demolierer Orbán in die Rolle rutscht.“
So wäre es möglicherweise gekommen, wenn Michel nach seiner
Vereidigung als neuer EU-Abgeordneter das Spitzenamt im Rat hätte niederlegen müssen und die Staats- und Regierungschefs nicht binnen kürzester Zeit einen Nachfolger hätten bestimmen können. Nach den EU-Verträgen wäre dann theoretisch möglich gewesen, dass kommissarisch auch die Kommissionspräsidentin die Vorbereitung der Gipfeltreffen übernimmt.
Doch die wichtigste Aufgabe nach den Wahlen zum Europaparlament ist die Neubesetzung der Kommissionsspitze, und es ist bereits jetzt absehbar, dass Amtsinhaberin Ursula von der Leyen erneut antreten will. Es wäre schwer vorstellbar, dass sie im Rat als amtierende Präsidentin die eigene Personalie zu koordinieren hätte.
Deshalb war schnell klar, dass die Verantwortung dann der Ratspräsidentschaft
im Ministerrat zufallen würde. Das ist vom 1. Juli an Ungarn. Und damit wäre ausgerechnet dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán die Leitung zugefallen, also demjenigen, der sich bei europäischen Einigungsversuchen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs immer wieder querstellt.
Um das zu verhindern, entwickelten Diplomaten in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten bereits ein Szenario, in dem die Nachfolgefrage so weit vorbereitet werden sollte, dass es nach den Europawahlen in kürzester Zeit eine Neubesetzung hätte geben können. Gewöhnlich dauert die Entscheidung länger, weil unter den Fraktionen, deren Parteien sich auf eine Zusammenarbeit in Brüssel verständigen, die wichtigsten Posten in einem Gesamtpaket ausgehandelt werden. Dazu gehört auch das Amt des Ratspräsidenten, der die Verständigung der Staats- und Regierungschefs zu koordinieren hat.
Michel machte dabei nicht immer die beste Figur: Als ärgerlich wird die ständige Rivalität zwischen Michel und von der Leyen auf außenpolitischem Parkett wahrgenommen. Viele haben das „Sofagate“noch vor Augen, als Michel bei einem EU-Türkei-Besuch bereitwilligst auf dem Sessel direkt neben Präsident Recep Tayyip Erdogan Platz nahm und die Brüskierung von der Leyens durch die Platzierung auf einem Sofa am Rande hinnahm.