Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Meinen Ärger kriegen die nicht“
Häme und Schadenfreude treffen in der Politik besonders oft Frauen. Wie gehen Spitzenpolitikerinnen mit Anfeindungen um? SPD-Chefin Saskia Esken und Julia Klöckner (CDU) geben Antworten.
Wenn man ihre Namen im Internet sucht, dann kommen schnell folgende Begriffe dazu: Gewicht, Ehemann, Körpergröße, Kinder. Das Amt, die Parteizugehörigkeit oder Karrierestufe spielen teilweise erst später eine Rolle. Politikerinnen wie etwa Grünen-Chefin
Ricarda Lang oder ihre Parteifreundin, Außenministerin Annalena Baerbock, werden in den sozialen Netzwerken besonders oft angefeindet.
Sexuelle Anspielungen oder Drohungen, Spott über Äußerlichkeiten,
Häme bis hin zu Gewaltfantasien sind keine Seltenheit. Für die Frauen selbst, aber auch für ihre Familien und ihr jeweiliges Team ist das nur schwer zu ertragen. Manchmal wird es so schlimm, dass Politikerinnen die Präsenz in den sozialen Medien runterfahren oder ganz einstellen. Die Kommentarfunktion soll nicht Oberhand über das persönliche Befinden gewinnen.
Auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken gehört dazu. Sie hat sich bereits vor einiger Zeit von der sozialen Medienplattform X, ehemals Twitter, verabschiedet. Die Debattenkultur war in eine Beleidigungsmaschinerie abgeglitten – ohne Chance, einen Dialog auf Augenhöhe zu bewahren und Kritik zu diskutieren. „Es ist eine ungute Entwicklung der Debattenkultur,
egal ob auf der Straße oder im Netz, dass immer weniger in der Sache argumentiert wird. Stattdessen werden niedere Instinkte bedient, indem man oft zu hasserfüllten, schmähenden Angriffen auf einzelne Personen greift“, sagt Esken unserer Redaktion.
Das richte sich vor allem gegen solche Personen, die eine erhöhte öffentliche Wahrnehmung haben. „Häme und Schadenfreude sind bedauerlicherweise leicht zu aktivierende Emotionen, die dann dazu führen, dass Schmähkommentare im Netz viral gehen und auch im analogen Leben offene oder zumindest klammheimliche Zustimmung erhalten“, betont die SPD-Chefin: „Frauen, die sich sichtbar in die gesellschaftliche und politische Debatte einbringen, die Initiative ergreifen oder gar in führender Position Verantwortung übernehmen, trifft diese Unkultur im besonderen Maße.“Warum? „Weil sie in einer weiterhin männlich geprägten politischen Landschaft mit ihrer Unerschrockenheit offenbar Verlustängste auslösen.“Was also ist ihr Wunsch? „Noch mehr Mut machende Beispiele und gleichzeitig noch mehr Solidarität unter Frauen sowie gegenseitige Unterstützung, damit mehr Frauen öffentliche Diskussionen mit ihren Beiträgen bereichern“, sagt die 62-jährige SPD-Politikerin.
Das sieht ihre politische Konkurrentin ähnlich, macht jedoch auch politisches Lagerdenken dafür mitverantwortlich. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner (CDU), sagt: „Wer in der ersten Reihe steht und nicht leise ist, wird angefeindet. Ob Mann, ob Frau. Handelt es sich um Frauen, die angefeindet werden, geht es zudem meist noch ums Äußere und um das, was man ihnen an den Hals wünscht.“Sie sieht dabei die Frauen
aus konservativen Parteien wie CDU und CSU besonders im Fokus, bei denen weibliche Politikerinnen noch etwas seltener sind als weiter links.
Klöckner erzählt: „Bei uns Politikerinnen spielt es aber auch noch eine Rolle, zu welcher Partei wir gehören. Ich erinnere mich daran: Als eine Ministerin der SPD, die für Verteidigung zuständig war, inhaltlich kritisiert wurde, hieß es aus deren Reihen, das sei Sexismus und diskriminierend. Wenn aber Frauen anderer Parteien angegriffen werden, ist diese Sexismus-Verteidigungslinie schnell wieder in der Schublade. Ich finde, Frauen müssen auch inhaltlich kritisiert werden dürfen, das ist kein Sexismus, das ist auch ein Stück Gleichberechtigung. Wenn es sachlich und inhaltlich ist.“
Sie selbst bekomme die meisten Anfeindungen „aus der untersten Schublade“von Organisationen und Aktivisten links der Mitte. „Da gibt es dann mal Bildmontagen mit einem Revolver an meinem Kopf oder unsittliche Vergleiche. Abgetan wird das gerne mit ‚Satire’“, erzählt Klöckner. Wie schützt sie sich selbst? „Meinen Ärger kriegen die nicht“, sagt die 51 Jahre alte Politikerin. Sie nehme es nicht persönlich, bei schweren Fällen „bringe ich es zur Anzeige, um ein klares Zeichen zu setzen und damit künftig auch andere Frauen zu schützen“, so die ehemalige Bundesministerin.
Fachleute bezeichnen diese „Hatespeech“als eine Unterform digitaler Gewalt, die im Netz öffentliche, oft aggressive Abwertung, Beschimpfung oder Bedrohung von Personen mit bestimmter Gruppenzugehörigkeit, eben zum Beispiel Frauen, beinhaltet.
Studien zur besonderen Gefährdungslage von Politikerinnen gibt es allerdings bisher kaum. Ein Gesetz gegen digitale Gewalt ist in Vorbereitung. Ob bis dahin alle Politikerinnen durchhalten, ist allerdings offen.