Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Mehr Betrug mit Arznei und in der Pflege
Die AOK Rheinland/Hamburg erleidet Millionenschaden – auch wegen gefälschter Botox-Rezepte.
Betrug und Korruption im Gesundheitswesen nehmen zu. Mal stellen Krankenhaus-Mitarbeiter Botox-Rezepte für Patienten zu Lasten der Krankenkasse aus, die dann aber als Lifestyle-Arznei für die Behandlung von Falten bei Klinik-Mitarbeitern genutzt werden. Mal rechnet ein Lieferant viel mehr Verbandstoffe mit der Krankenkasse ab, als er an einen Pflegebedürftigen abgibt, eine Luftleistung also. Das sind nur zwei Beispiele aus dem Fehlverhaltensreport der AOK Rheinland/Hamburg. Sie verfolgte in den Jahren 2022 und 2023 insgesamt 1485 Fehlverhaltensfälle, darunter 669 neue Fälle. Zum Vergleich: Im Jahr 2020/2021 hatte es nur 590 neue Fälle gegeben. Der entstandene Schaden für die Kasse lag im aktuellen Zeitraum bei 4,87 Millionen Euro, heißt es in dem Report, der unserer Redaktion vorliegt.
Vor allem in zwei Bereichen kommt es zu hohen Schäden: Arzneimittel und häusliche Krankenpflege. Bei Arznei- und Verbandsmitteln
entstand ein Schaden von 3,46 Millionen Euro – etwa durch die Einlösung gefälschter Rezepte. „Täter können auch Dritte sein, die durch gefälschte Rezepte versuchen, in den Besitz von Arzneimitteln unter anderem mit Abhängigkeitspotenzial zu kommen“, erklärt die Kasse.
Bei Betrug in der häuslichen Krankenpflege entstand ein Schaden von 1,01 Millionen Euro – etwa indem Pflegedienste nicht oder nicht von Fachkräften erbrachte Leistungen abrechnen. Damit entstehe nicht nur ein materieller Schaden, bei unsachgemäß durchgeführter Pflege könnte es auch zu Beeinträchtigungen für die Pflegebedürftigen kommen. Es gibt aber auch Versicherte, die Gebrechlichkeit nur vortäuschen und damit Leistungen erschleichen. So gab eine Versicherte unter Vorlage gefälschter ärztliche Atteste vor, an Krebs erkrankt zu sein, und erschlich dadurch Leistungen aus der Pflegeversicherung.
Die erfassten Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. „Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche
Zahl der Fehlverhaltensfälle im Gesundheitswesen wesentlich höher ist“, sagt Simone Lötzer, Fehlverhaltensbeauftragte der AOK Rheinland/Hamburg. Es müsse Dunkelfeldstudien geben, die bei der Betrugsbekämpfung helfen. Zudem behindert der Datenschutz die Aufklärung: „Die Regelungen sollten in konkreten Verdachtsfällen den Datenaustausch zwischen Kranken- und Pflegekassen sowie
Rentenversicherungsträgern, Jobcentern und Arbeitsagenturen erlauben“, fordert Lötzer.
Vor 20 Jahren wurden die Krankenkassen verpflichtet, Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten einzurichten. Versicherte können Verdachtsfälle melden über www. aok.de und somit die Untersuchung anstoßen.
„Der Fehlverhaltensbericht zeigt, dass die Zahl der Betrugsfälle im Gesundheitswesen in den vergangenen beiden Jahren nicht nur erneut gestiegen ist, sondern dass die Straftaten immer komplexer werden. Wir müssen uns darauf einstellen und effektive Wege finden, um dieser Form der Wirtschaftskriminalität Einhalt zu gebieten“, sagt Günter Wältermann, Chef der AOK Rheinland/Hamburg. Schließlich werden damit Beitragszahler geschädigt. Wältermann fordert: „Deshalb brauchen wir auf Betrug und Korruption spezialisierte Einheiten in Polizei und Justiz, die die gemeldeten Fälle mit den notwendigen personellen und fachlichen Ressourcen verfolgen können.“