Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der Nahostkrieg an der Uni
In Köln kampieren propalästinensische Studierende vor der Hochschule. Die Kritik an Israel ist hart, vom Hamas-Terror kein Wort.
Palästinensische Flaggen flattern in der kühlen Morgenluft über einem knappen Dutzend niedriger Zelte. Eine Gruppe junger Leute kniet im Gras und bemalt ein Stück Pappe. „Save Rafah“, wird wenig später darauf zu lesen sein, markiert mit blutigen Handabdrücken, hochgehalten von einer verschleierten Frau. Die palästinensische Stadt im südlichen Teil des Gazastreifens ist derzeit Schauplatz von Angriffen der israelischen Armee gegen Stellungen von Terroristen der Hamas. Im überschaubaren Protestcamp gegen den Krieg in Nahost, das „Students for Palestine“vor gut einer Woche auf der Wiese vor dem Hauptgebäude der Kölner Universität aufgeschlagen haben, ist an diesem Vormittag nicht viel los. Höchstens 20 Aktivistinnen und Aktivisten haben sich vor Deutschlands größter akademischer Lehranstalt versammelt.
„Wir sind hier keine Antisemiten“, beeilt sich eine junge Frau aus der Gruppe zu versichern. „Was wir wollen, ist Frieden.“Dass keineswegs alle Übrigen eine solch neutrale Sichtweise pflegen, belegen die propalästinensischen Botschaften rund um das kleine Zeltlager: „Solidarität mit den Menschen aus Gaza“, steht da, „Kein Wissenstransfer zwischen Uni Köln und israelischen Behörden und Forschungsinstituten bis zum Waffenstillstand“und „Öffentliche Entschuldigung an Nancy Fraser“. Kein Wort indes zu dem beispiellosen Massaker vom 7. Oktober, bei dem die Hamas in Israel rund 1200 Menschen getötet und etwa 250 als Geiseln verschleppt hatte.
Hochgekocht waren die Emotionen schon Anfang April, als die Kölner Uni eine Gastprofessur der US-Philosophin Nancy Fraser widerrufen hatte, weil diese den Offenen Brief „Philosophy for Palestine“unterzeichnet hatte. Die Universitätsleitung begründete den Schritt seinerzeit mit dem Hinweis, in diesem Brief werde das Existenzrecht Israels infrage gestellt und der Terrorangriff der Hamas in rechtfertigender Weise relativiert. Solche Positionen seien mit denen der Uni Köln nicht vereinbar, zumal ein Austausch mit Nancy Fraser „keine neuen Erkenntnisse zum Sachstand und zu ihrer Position gegenüber Israel erbracht“habe.
Dabei bleibt es, und auch an den Verbindungen zu israelischen Forschungseinrichtungen will die Kölner Uni nicht rütteln. Verbieten kann und will sie die das Camp vor
ihren Toren nicht, da es sich um eine angemeldete Demonstration handelt, die überdies auf städtischem Gelände stattfindet. Die Studentenvertretung hat unterdessen die Beteiligten aufgefordert, das Protestcamp unverzüglich abzubauen. Der Asta beklagt verbale und Spuck-Attacken auf Studierende, obendrein
seien antisemitische Symbole der Hamas verwendet worden, aufgrund derer die Polizei nun wegen Bedrohung ermittle.
„Dieses Verhalten ist inakzeptabel und hat dazu geführt, dass uns besorgte Nachrichten von Studierenden erreichen, die sich auf dem Campus nicht mehr sicher fühlen“, heißt es in der Mitteilung des Kölner Studentenschaft. Hier sei eine klare Grenze überschritten. „Unsere Universität darf niemals zu einem Raum werden, in dem Studierende Angst haben müssen, bedroht zu werden, besonders nicht von Personen, die selbst nicht an der Universität studieren. Universitätssprecher Jürgen Rees lässt keinen Zweifel an der Entschlossenheit, gegen entsprechende Vorfälle vorzugehen: Weder antisemitische Parolen noch tätliche Übergriffe auf dem Gelände würden geduldet. Gegebenenfalls werde die Polizei unverzüglich eingeschaltet.
Einstweilen bis Ende der Woche wollen die Aktivistinnen und Aktivisten in Nordrhein-Westfalens größter Stadt ausharren. 40 bis 50 Unterstützer zähle die Gruppe, heißt es. Namen werden ungern genannt. Es herrsche ein Kommen und Gehen, berichtet einer von ihnen,
spontan brächten Kommilitonen Essen und Trinken ins Camp.
Die antiisraelische Protestwelle, die an den Hochschulen in den USA ihren Anfang nahm, hat auch die deutschen Universitäten erreicht, wenngleich die Dramatik der Aktionen noch nicht vergleichbar mit den Vorfällen in den Vereinigten Staaten ist. Ähnlich wie in Köln sieht es seit Dienstag in Bonn aus, wo propalästinensische Studenten ein Protestcamp vor dem Hauptgebäude unter dem Motto „Hofgarten gegen Besatzung“errichtet haben. Die Demonstration ist bis Mitte kommender Woche angemeldet. Wie in Köln wird gefordert, die Uni möge den Kontakt zu Organisationen abbrechen, die Nähe zu Israel pflegen. Aktivisten, die entsprechende Appelle auch in der Mensa verbreiteten, wurden des Hauses verwiesen.
Der Studierendenverband FZS hat sich für die Auflösung von propalästinensischen Protestcamps an deutschen Hochschulen ausgesprochen, gleichzeitig aber vor einer Eskalation durch Polizeigewalt gewarnt. Teilnehmer der Protestcamps seien nicht nur Studierende. „Propalästinensische Forderungen werden immer wieder durch propagandistische Falschinformationen ergänzt“, heißt es in einer Stellungnahme. Es herrsche eine „aktiv antiisraelische Haltung“vor, welche „flächendeckend eine antisemitische Rhetorik“aufweise.
„Gerade in Nordrhein-Westfalen studieren viele arabische junge Frauen und Männer. Deshalb ist es so wichtig, die Debatte um den Konflikt in Gaza an den Universitäten zu versachlichen“, sagt Edda Pulst, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Westfälischen Hochschule
Gelsenkirchen. Es dürfe nicht ignoriert werden, welche Verbrechen die Hamas in Israel begangen habe. „Wir Lehrenden in Gelsenkirchen haben deshalb ein besonderes Augenmerk auf unsere Studierenden aus Nahost, bieten ihnen Möglichkeiten zum Gespräch an und sind immer bereit, zwischen Konfliktgruppen auf dem Campus zu vermitteln.“Bislang sei es in Gelsenkirchen in puncto Proteste ruhig geblieben.
In Hamburg dagegen war es am Mittwoch nach einer Lesung an der Universität Hamburg zum Thema Antisemitismus zu einer Attacke auf eine 56-jährige Frau gekommen, die Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist. Die Angegriffene wurde von einer 26 Jahre alten Somalierin unvermittelt ins Gesicht geschlagen und setzte sich ihrerseits zur Wehr.
Noch heftiger waren in dieser Woche Auseinandersetzungen zwischen propalästinensichen Studenten und der Polizei ausgefallen. In Leipzig hatten am Dienstag Demonstranten einen Hörsaal und einen Hof besetzt. Die Uni begründete die Räumung mit Gefahren für Studierende und Lehrende. Ebenfalls am Dienstag versuchten etwa 150 Aktivisten an der Freien Universität Berlin, einen Hof zu besetzen und Zelte aufzubauen. Die Uni schaltete ebenfalls die Polizei ein und ließ das Gelände räumen. Nach offiziellen Angaben wurden 79 Personen vorübergehend festgenommen, davon 49 Frauen und 30 Männer; es gebe 80 Strafermittlungsverfahren und 79 Ordnungswidrigkeitsverfahren.
Empörung löste ein Schreiben aus, in dem etwa 100 Dozenten aus mehreren Berliner Hochschulen sich vor die Demonstrierenden stellen und deren „Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt“, verteidigen. Weiter heißt es: „Wir fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen.“
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger reagierte entsetzt: „Dieses Statement macht fassungslos. Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, werden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost“, sagte die FDP-Politikerin der „Bild“Zeitung. „Dass es sich bei den Unterstützern um Lehrende handelt, ist eine neue Qualität. Gerade sie müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.“