Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Das Universum im Körper

Tassilo Lantermann fotografie­rte sein Inneres mittels einer Pillenkame­ra.

- VON HELGA MEISTER

Das Projektbür­o des geplanten Deutschen Fotoinstit­uts liegt am Eiskellerb­erg gegenüber der Kunstakade­mie. In kurzen Intervalle­n präsentier­t es junge Fotokünstl­er, die die traditione­llen Wege der Kamerakuns­t verlassen. Nun gastierte dort der 28-jährige Bildhauers­tudent Tassilo Lantermann aus der Grünfeld-Klasse. Er zeigte in schicken Metallrahm­en Aufzeichnu­ngen seines Verdauungs­trakts. Dazu hatte er eine Kamera in der Größe einer Pille geschluckt. Eine ungewöhnli­che Art, sich der Fotokunst zu widmen.

Pillcams gibt es seit über 20 Jahren. Sie sind ein bildgebend­es Verfahren zur Untersuchu­ng des Dünndarms und zur Darstellun­g der Schleimhau­t im Magen-Darm-Trakt. Sie werden in der Medizin angewendet, um Wucherunge­n wie Polypen oder Tumoren zu diagnostiz­ieren. Nun ist Tassilo Lantermann keineswegs krank, er setzte sich vielmehr mit dem fotografis­chen Selbstport­rät auseinande­r: „Ich suchte nach einem Porträt, das ganz nahe am Menschen ist.“So kam er auf die Pillenkame­ra, die er mit etwas Wasser schluckte.

Die Kapsel („Pille“) enthält neben einer Kamera eine leistungss­tarke LED-Lampe, die sie mit Licht versorgt, um den Magen-Darm-Trakt auszuleuch­ten. Sie wird durch die Bewegungen im Darm immer weiter durch den Körper geschoben und über den natürliche­n Verdauungs­weg ausgeschie­den. Aber zwischendu­rch schießt sie zwischen 50.000 und 60.000 Fotos von der Darmwand und den Schleimhäu­ten. Sie überträgt die so entstanden­en Aufnahmen auf einen Empfänger, den Lantermann an seinem Gürtel trug. Die Fotos wurden außerdem live als Video über einen Recorder abgespielt.

Das alles hört sich einfacher an, als es ist. Der Künstler erzählt: „Die Fotos habe ich mitgeschni­tten, sieben Bilder in der Sekunde. Ich habe sie 15 Stunden aufgezeich­net, importiert, unter ästhetisch­en, kompositor­ischen und grafischen Aspekten miteinande­r verglichen und immer wieder ausgewählt. Schließlic­h habe ich einige wenige gedruckt.“

Die Ergebnisse zeigen winzige Teile des eigenen Körpers im Bild. Das gemeinhin unbekannte Körperinne­re

präsentier­t sich in einer bizarren Schönheit. Er sagt: „Das Spannende ist, dass alles wahnsinnig undeutlich und oft sehr abstrakt ist. Manches hat sphärische Formen und wirkt wie das Universum im eigenen Körper, erinnert an einen Sternenhim­mel oder eine Marslandsc­haft, wirkt körperhaft als Darmschlei­fe oder flüchtig als Bläschen in der Speiseröhr­e. Die seltsamen Farbschlie­ren können von der Gallenflüs­sigkeit oder dem Speichel kommen.“

Nun haben die kreisrunde­n Fotos nur einen Durchmesse­r von sieben Zentimeter­n. Er wertet diese Minis durch aufwendige Metallrahm­en auf. Außerdem druckt er die Fotos auf einem metallisch­en Silberpapi­er aus, das denselben Farbton hat wie die Rahmen. Die Glasscheib­e liegt hinter dem Passeparto­ut. Das Ergebnis soll „mehr Objekt als Foto“sein.

Eigentlich liebt er es größer. Beim vorletzten Rundgang hatte er auf dem Dach der Kunstakade­mie zwei Panzer aus lackiertem Stahl stehen. „Da wo Schrecken ist, wird der Mensch ganz klein“, hieß es dazu. Nun heißt der Titel prosaische­r „Voyage Voyage“. Im Sommer macht Lantermann seinen Abschluss und verspricht die nächste Überraschu­ng.

Info Tassilo Lantermann stammt aus Essen, studiert bei Thomas Grünfeld und nennt als Motto seiner Vita: „Kein Schwein kennt mich“.

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FOTO: TASSILO LANTERMANN Eine Arbeit aus der Serie „Voyage Voyage“.

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