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Staatsanwälte schieben 3103 Fälle vor sich her
Der Deutsche Richterbund warnt vor Personalmangel in den Strafverfolgungsbehörden. Eine bevorstehende Pensionierungswelle werde die schon jetzt unzureichende Lage noch verschärfen. Und die Zahl der Verfahren steigt.
Hass und Hetze im Netz, komplexe Ermittlungen, wenig Juristen – bundesweit türmt sich nach Angaben des Deutschen Richterbundes ein Berg unerledigter Arbeit bei den Staatsanwaltschaften. Es gebe immer mehr unerledigte Fälle. Im vergangenen Jahr seien 906.536 Verfahren offen gewesen. Innerhalb von zwei Jahren sei die Zahl unbearbeiteter Akten damit um ein Viertel gestiegen. 2021 seien es noch 727.021 und 2022 bereits 840.727 offene Fallakten gewesen. Nun eine weitere Steigerung.
Dass auch auf die Staatsanwälte und Staatsanwältinnen in Krefeld jede Menge Arbeit wartet, unterstreicht folgende Zahl. Im Zeitraum 1. Januar 2021 bis zum 31. Dezember 2023 habe die Behörde 110.596 Eingänge verzeichnet, informierte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Krefeld auf Anfrage unserer Redaktion. Dabei ist jeder Fall zumindest in Nuancen anders. Das bedeutet, der Ermittlungsaufwand ist unterschiedlich hinsichtlich Schwierigkeit, Komplexität und Zeitaufwand. Insofern lassen sich reine Fallzahlen miteinander nur schwer vergleichen. Am Trend ändert das nichts. Auch bei der Staatsanwaltschaft Krefeld türmt sich ein Berg an Arbeit auf. „Zum Stichtag 31. Dezember 2023 waren noch 3103 Verfahren offen“, informierte die Sprecherin der Strafverfolgungsbehörde.
Die bundesweiten Zahlen gehen auf eine Umfrage bei den Justizverwaltungen der Länder zurück, die die vom Richterbund herausgegebene „Deutsche Richterzeitung“durchgeführt hat. Berücksichtigt wurden dabei nur die Verfahren gegen namentlich bekannte Beschuldigte, wie es hieß. Insgesamt haben die Staatsanwaltschaften in Deutschland demnach im vergangenen Jahr rund 5,4 Millionen neue Fälle auf den Tisch bekommen – so viele wie noch nie. Zwei Jahre zuvor habe es noch etwa 4,7 Millionen Neuzugänge gegeben.
Der Bundesgeschäftsführer des Richterbundes, Sven Rebehn, sieht unter anderem eine Zunahme von Verfahren wegen Hass und Hetze im Netz als einen Grund für die Entwicklung. Zudem gebe es vermehrte
Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz und mehr Fälle im Bereich der Kinderpornografie. „Eine personell ausgezehrte Strafjustiz kann mit der Entwicklung immer schlechter Schritt halten, sagte Rebehn der Deutschen Presse-Agentur.
Die Personallücken in der Justiz seien durch das bundeseinheitliche System zur Berechnung des
Personalbedarfs objektiv gut nachvollziehbar. Nach den eigenen Erhebungen der Justizverwaltungen der Länder zur Arbeitsbelastung, die vom Deutschen Richterbund regelmäßig ausgewertet würden, fehlten Ende 2017 bundesweit rund 2000 Richter und Staatsanwälte.
Der Richterbund appelliert deshalb an die Politik, in den kommenden
Jahren nicht nur für die Polizei in Bund und Ländern wie angekündigt tausende neue Stellen zu schaffen, sondern auch die Personallücken in der Justiz nachhaltig zu schließen. „Wer effektiv gegen Terrorismus und organisiertes Verbrechen, Cybercrime und Alltagskriminalität vorgehen will, muss neben der Polizei auch die Strafjustiz deutlich besser ausstatten. Anderenfalls wird die Justiz mehr denn je zum Nadelöhr bei der Strafverfolgung und bei einem effektiven Rechtsschutz für Bürger und Unternehmen“, heißt es.
Die schon jetzt sehr angespannte Situation werde sich in den kommenden zehn Jahren noch deutlich verschärfen, denn auf die deutsche Justiz rolle eine große Pensionierungswelle zu. Rund 40 Prozent aller Juristen schieden bundesweit bis 2030 aus dem Dienst aus, die Justiz verliere mehr als 10.000 Richter und Staatsanwälte, betonte der Richterbund.
Die Zahl der offenen Ermittlungsverfahren in den Staatsanwaltschaften Nordrhein-Westfalens kletterte weiter in die Höhe. Fast 243.000 waren es Ende 2023. Im Jahr 2019 hatte es noch rund 176.000 offene Verfahren gegeben. Seitdem kamen Jahr für Jahr mehr Fälle dazu, als sich abarbeiten ließen. Es gebe allgemein mehr Straftaten und in bestimmten Bereichen enorme Zuwächse, erklärte Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) unlängst. So hätten sich allein die Geldwäscheverfahren von rund 6700 im Jahr 2019 auf mehr als 36.000 im Jahr 2023 verfünffacht, Tendenz stark steigend. „Für unsere Staatsanwaltschaften bedeuten diese Zahlen einen starken, enormen Anstieg des Arbeitsanfalls“, so Limbach. Innerhalb von zwei Jahren stieg die Zahl unerledigter Fälle in Nordrhein-Westfalen um fast 27 Prozent.
Um diesen abzufedern, schichtet der Minister nun Personal um. Insgesamt 100 Stellen werden im Laufe des Jahres aus dem Richterdienst zu den Staatsanwaltschaften übertragen. „Einen Belastungsausgleich in dieser Höhe hat es in der Justiz bislang nicht gegeben“, betonte Limbach. Dabei können die Gerichte sich aussuchen, ob sie unbesetzte Stellen abgeben oder tatsächlich Personal weiterschicken. Bislang ließen sich 20 Personen aus dem Richterdienst für bis zu zwei Jahre zu den notleidenden Staatsanwaltschaften abordnen – freiwillig, wie Limbach dabei betonte. Zudem wurden und werden die ersten 50 Stellen umverteilt. Ferner würden auch die Zulassungsbedingungen erleichtert.