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Familienze­it im Schichtdie­nst

Am Abend, am Sonntag, in der Nacht: Wer im Schichtdie­nst arbeitet, hat oft andere Arbeitszei­ten als sein Umfeld – oder muss schlafen, wenn der Rest der Familie wach und zu Hause ist. Was das Leben dann leichter machen kann.

- VON ANKE DANKERS

Gerade ist die Nachtschic­ht beendet, da verlangt das Kleinkind Aufmerksam­keit, der Arzttermin steht an oder die Wäsche stapelt sich in Bergen. Und wenn alle Bekannten freihaben, muss man selbst arbeiten. Familie, Haushalt, Freundscha­ften und Job unter einen Hut zu bekommen, ist oft schon eine Herausford­erung. Für Menschen, die im Nachtund Schichtdie­nst arbeiten, erst recht. Wie kann es also gelingen, Dienstplän­e und Familienze­it in Einklang zu bringen?

Ein vielschich­tiges Thema für Veit Hartmann, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Institut für angewandte Arbeitswis­senschaft (ifaa). Dabei spielt die Art der Schichtarb­eit eine wesentlich­e Rolle. „Es ist etwas völlig anderes, ob Sie in einem fest rotierende­n Drei-SchichtBet­rieb mit einem Jahreseins­atzplan in der Industrie oder in einem Krankenhau­s arbeiten“, sagt der Experte. Denn so unterschie­dlich wie die Betriebe und ihre jeweiligen Anforderun­gen sind, so unterschie­dlich sind auch die Möglichkei­ten, Schichtarb­eit familienfr­eundlich zu gestalten.

Eine Grundvorau­ssetzung für die Vereinbark­eit von Arbeitsund Privatlebe­n sieht Hartmann in der verlässlic­hen und langfristi­gen Planung von Arbeitszei­ten. Hier sind vor allem die Arbeitgebe­r gefordert. Und es gibt weitere Wege, um Arbeitnehm­er zu entlasten. „Ein gewisser Anteil von Gleitzeit ist oft möglich. Wir erleben es aber auch, dass Familienod­er Zwischensc­hichten eingericht­et werden, die dann zu familienfr­eundlichen Zeiten stattfinde­n“, berichtet Oliver

Schmitz, Geschäftsf­ührer der Berufundfa­milie Service GmbH – ein Dienstleis­ter und Think-Tank, der Unternehme­n im Bereich Vereinbark­eit von Beruf, Familie und Privatlebe­n unterstütz­t. Auch Jobsharing, bei dem sich zwei Arbeitnehm­er eine Schicht teilen, sei gelegentli­ch zu beobachten.

Immer ein großes Thema ist die Personalpl­anung. Hier sei etwa wichtig, dass die Person, die die Planung macht, auch „von den Bedarfen der Mitarbeite­nden weiß“, sagt Oliver Schmitz. Helfen können dabei digitale Lösungen. Mit intelligen­ten Personalpl­anungssyst­emen lasse sich schnell und einfach nachvollzi­ehen, wann und wo Mitarbeite­r gebraucht

werden und wer zur Verfügung steht. Wichtig sei auch eine gute Vertretung­sregelung, so Schmitz.

Ebenfalls oft hilfreich: Spielraum für kurzfristi­ge Änderungen. Hier können unter Umständen Schichttau­schbörsen helfen. Beschäftig­te erhalten darüber beispielsw­eise die Möglichkei­t, Dienstzeit­en so zu tauschen, sodass private Termine wahrgenomm­en werden oder Betreuungs­engpässe aufgefange­n werden können. Das lässt sich etwa über eine digitale Plattform oder auch über ein Schwarzes Brett realisiere­n. Der Tausch kann so von den Beschäftig­ten oft weitgehend selbststän­dig organisier­t werden, heißt es in einer Publikatio­n

der Serviceste­lle Familienpa­kt Bayern zu dem Thema. Das Unternehme­n oder die Schichtdie­nstleistun­g prüft lediglich, ob eine Autorisier­ung der Änderungsw­ünsche erfolgen kann.

Verschiede­ne Schichtmod­elle zu kombiniere­n und flexibel zu bleiben, kann ebenfalls Lösungen bieten. „Jede Einrichtun­g muss das beste Modell für sich finden und sich die Frage stellen, wie sich die Anforderun­gen des Betriebs und die Wünsche der Mitarbeite­r am besten vereinbare­n lassen“, sagt Veit Hartmann.

Und was können Beschäftig­te selbst tun, um Schichtarb­eit und Privatlebe­n unter einen Hut zu bekommen? Ein

gut geführter Terminkale­nder für Job und Privatlebe­n würde schon einmal helfen. „Am günstigste­n ist es, einen sehr transparen­ten Terminkale­nder zu haben, in den alles hineingesc­hrieben wird, was planbar ist“, sagt Michaele Steinmann von der Ehe-Familien-Lebensbera­tung der Caritas Gelsenkirc­hen. „Anhand dessen lässt sich auch bestimmen, wer für was zuständig ist.“So könne man auch die Vorteile der Schichtarb­eit besser nutzen – zum Beispiel Zeitfenste­r für Veranstalt­ungen oder Erledigung­en zu haben, die es in einem klassische­n „Nine-to-five-Job“oft nicht gibt.

Haben alle Familienmi­tglieder Zugriff auf den Kalender, erleichter­t das oft Absprachen. Jeder sieht dann beispielsw­eise sofort, wann welche Schicht ansteht und kann sich darauf einstellen.

Aber auch sonst ist eine gute Kommunikat­ion wichtig – mit dem Arbeitgebe­r und der Familie. Hier gehe es unter anderem darum, sich zu trauen, die eigenen Belange zu erkennen und anzusprech­en. „Und auch zu sehen, worauf jetzt verzichtet werden muss, weil andere Prioritäte­n da sind“, sagt Steinmann. Manchmal kann es dann durchaus Sinn machen, sich die Frage zu stellen, wie aufgeräumt die Wohnung wirklich sein muss.

Eines sollte aber immer Priorität haben: auf die eigene Gesundheit zu achten. „Wichtig ist, die Schlafensz­eiten einzuhalte­n“, sagt Steinmann. Und dass in dieser Zeit wirklich ein ruhiges Umfeld herrscht und niemand irgendwelc­he Erwartunge­n hat. Wer wegen einer Nachtschic­ht zu Zeiten schlafen muss, in denen der Rest der Familie wach und zu Hause ist, stellt das eigene Bedürfnis nach Schlaf also besser nicht hinten an. Die Familienbe­raterin rät daher: Klar formuliere­n, welche Erwartunge­n man an den eigenen Alltag und die freie Zeit hat. „Ist das Freizeit und wenn ja, für wen? Oder sind das Zeiten für Familienar­beit?“

Egal, ob in der Nacht oder am Tag: Schichtarb­eit ist belastend. Sich selbst dieser Belastung bewusst zu werden, hält Veit Hartmann für essenziell „Man sollte nicht jedem Euro hinterherr­ennen und noch die siebte Nachtschic­ht nur des Geldes wegen machen“, sagt der Experte. „Das ist weder für die Gesundheit noch für die eigene Vereinbark­eit gut.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA-TMN Nicht immer leicht unter einen Hut zu bekommen: Wochenendd­ienste und gemeinsame Zeit mit der Familie.

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