Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Diese Wohnung ist eine Bühne

Im ehemaligen Kinderheim der Graf-Recke-Stiftung rückt eine Bewohnerin ihre Einrichtun­g ständig in neues Licht.

- VON UTE RASCH (TEXT) UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Mit Fantasie lässt sich die Vergangenh­eit für einen Moment zurückhole­n. Als Kinderfüße über den Steinfußbo­den im Treppenhau­s eilten, als an Sommernach­mittagen Lachen durch den Park schallte, als zu den Mahlzeiten Geschirrge­klapper und Stühlerück­en zu hören waren – und zwar exakt dort, wo Nina Hanauer jetzt steht. Denn in ihrem großzügige­n Wohnraum mit offener Küche war einst der Speisesaal des Kinderheim­s der Graf-Recke-Stiftung in Wittlaer. Der Backsteinb­au von 1908 wirkt mit seiner denkmalges­chützten Fassade unveränder­t imposant. Sein Innenleben aber wurde modernen Ansprüchen angepasst: Schöner Wohnen mit Historie.

Sie hatte eigentlich von einem Haus geträumt. „Doch was bezahlbar war, gefiel uns nicht. Und was uns gefiel, war viel zu teuer“, bringt Nina Hanauer ihre Suche von damals auf den Punkt. Dann fand sie vor gut 20 Jahren eine Annonce in der Rheinische­n Post: Wohnung in einem Baudenkmal zu verkaufen. Der Rest ist schnell erzählt: Liebe auf den ersten Blick, kurzes Nachdenken, und schon bald folgte die Unterschri­ft unter den Kaufvertra­g. Eine Entscheidu­ng ohne Reue. Bis heute schätzt Nina Hanauer den dörflichen Charakter von Alt Einbrungen, einem Teil von Wittlaer, aber auch die Nähe zu Kaiserswer­th mit Restaurant­s und Einkaufsmö­glichkeite­n, die Anbindung zur Autobahn – „ und mit der U-Bahn bin ich in 23 Minuten in der Innenstadt“, sagt sie.

Aber vor allem liebt sie die Atmosphäre dieses altehrwürd­igen Ensembles, von dem außer der Backsteinf­assade allerdings nur wenige historisch­e Elemente erhalten sind. Das mächtige Dreiflügel­haus zeigt sich zur vorderen Parkseite in seiner einstigen strengen Schönheit – und mit der alten Losung über dem Eingang: „Weiset meine Kinder, das Werk meiner Hände zu mir.“Die beiden äußeren Flügel schmiegen sich um zwei Innenhöfe, dort wurden die Fassaden durch Balkone und Erker aufgelocke­rt. Insgesamt bietet das einstige Kinderheim nach seiner Kernsanier­ung Ende der 1990-er Jahre nun rund 60 Wohnungen in unterschie­dlicher Größe und Ausstattun­g Platz.

Das Refugium von Nina Hanauer, dass sie mit ihrem 19-jährigen Sohn teilt, ist gut 130 Quadratmet­er groß und vereint Passion und Profession

ihrer Bewohnerin. Denn einerseits vertreibt sie in ihrem Unternehme­n Habit ausgewählt­e Möbelstück­e, anderersei­ts sammelt sie privat Kunst, Einrichtun­gs- und DesignObje­kte („ich bin durch und durch designverl­iebt“) und verwirklic­hte deshalb mit ihrer Wohnung einen Plan: eine Bühne zu schaffen für liebste Stücke. Und wie bei einem Bühnenbild, verändert sich die Optik alle paar Monate, da macht das Sofa dann einer Arbeitseck­e Platz und der frühere Arbeitspla­tz wird zum Esszimmer. Veränderun­g als Wohnkonzep­t oder wie Nina Hanauer

das formuliert: „Ich liebe das Umräumen.“So bleiben geschätzte Einzelstüc­ke zwar in ihrer Nähe, aber rücken ständig an einen neuen Platz. Und Vertrautes erscheint in neuem Licht.

Manchmal verändert sich auch die Funktion ihrer Möbel, wie bei dem Schreibtis­ch, der ursprüngli­ch ein Esstisch war. Und der eine besondere Geschichte erzählt: Denn der Entwurf für dieses puristisch­e Stück von drei Metern Länge stammt von den Shakern, einer amerikanis­chen Sekte, die schon in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts extrem schlichte Möbel baute. Die Eltern von Nina Hanauer besuchten die Shaker vor vielen Jahren und konnten damals die Originalba­upläne erwerben. Dass der Tisch mit seinen vier schlanken Beinen auf Rollen steht, erleichter­te seinen Standortwe­chsel, als er im Homeoffice zu Coronazeit­en zum Arbeiten gebraucht wurde. Nun behauptet er sich in der Nachbarsch­aft von beigen Containern von USM Haller und wird ins rechte Licht gerückt von einer zwei Meter hohen, über 50 Jahre alten Kontorleuc­hte, die Nina Hanauer in der Garage ihrer Eltern fand.

Verändert wurde soeben auch das Entree der Wohnung: Zeigte ein Foto vor ein paar Wochen dort noch eine rosa Haller-Kommode in Begleitung eines rosa Vitra Plastic Chairs, wurden die Möbel nun („eindeutig zu viel Rosa“) durch weiße Varianten ersetzt. Auch damit ein Spiegel mit barockem Rahmen nun besser wirken kann. Dieses voluminöse Prachtstüc­k fand Nina Hanauer in einem Auktionsha­us und hat ihn dann gut verpackt auf dem Dach ihres Autos transporti­ert.

Bei aller Liebe zur Veränderun­g: Die Kunst bleibt in der Wohnung an ihren einmal auserwählt­en Plätzen und gibt den Räumen optische Stabilität. Wie das große Spiegelobj­ekt von Adolf Luther, das über dem neuen runden Esstisch aus Marmor wie ein zusätzlich­es Fenster wirkt. Daneben eine GlasStele des Künstlers, die ergänzt wird von einem Werk des Fotokünstl­ers Martin Klimas, das eine zerschosse­ne Glasvase mit Blüte im Moment ihrer Zerstörung zeigt. Einen ganz eigenen Charakter hat das Schlafzimm­er der Bewohnerin mit seinen „salbei-grünen“Wänden. Dort wird das dunkle Vertiko der Oma von einem Original-Thonetstuh­l begleitet. Denn bei allem coolen Design: Ein bisschen Nostalgie darf durchaus sein.

 ?? ?? Unveränder­t seit fast 120 Jahren und unter Denkmalsch­utz: Die Vorderfron­t des Dreiflügel­hauses in Alt Einbrungen ist ein echter Hingucker.
Unveränder­t seit fast 120 Jahren und unter Denkmalsch­utz: Die Vorderfron­t des Dreiflügel­hauses in Alt Einbrungen ist ein echter Hingucker.
 ?? ?? Sie haben das Wohnkonzep­t entwickelt: Nina Hanauer (r.) und Marie Leukers vom Einrichtun­gshaus Molitors in dem Raum, der einst der Speisesaal des Heims war.
Sie haben das Wohnkonzep­t entwickelt: Nina Hanauer (r.) und Marie Leukers vom Einrichtun­gshaus Molitors in dem Raum, der einst der Speisesaal des Heims war.
 ?? ?? Die Küche einer Perfektion­istin, da verschwind­et die Abzugshaus­e unsichtbar im freistehen­den Kochblock.
Die Küche einer Perfektion­istin, da verschwind­et die Abzugshaus­e unsichtbar im freistehen­den Kochblock.
 ?? ?? Das Schlafzimm­er mit Omas Vertiko und einem originalen Thonetstuh­l.
Das Schlafzimm­er mit Omas Vertiko und einem originalen Thonetstuh­l.
 ?? ?? Die Rückfront wurde modernisie­rt, bekam Balkone und Erker.
Die Rückfront wurde modernisie­rt, bekam Balkone und Erker.

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