Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ökonomen fordern Milliarden für Infrastruk­tur

Nach der Kritik am strengen Haushaltsk­urs bekommt Finanzmini­ster Lindner jetzt aber Rückendeck­ung von Kanzler Scholz.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Christian Lindner hat im Haushaltss­treit nicht mehr nur SPD und Grüne als Gegner, sondern auch zwei führende deutsche Ökonomen aus unterschie­dlichen politische­n Lagern: Michael Hüther, Chef des arbeitgebe­rnahen Instituts derdeutsch­enWirtscha­ft(IW),und Sebastian Dullien, Direktor des gewerkscha­ftsnahen Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK), halten den strengen Kurs des Bundesfina­nzminister­s für grundfalsc­h. Dass Lindner auf Einhaltung der Schuldenbr­emse beharrt, verschlech­tere die Standortbe­dingungen und Zukunftsch­ancen künftiger Generation­en, argumentie­ren die Ökonomen. Gemeinsam fordern sie auf Pump finanziert­e zusätzlich­e öffentlich­e Investitio­nen von 600 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren.

Entweder müsse die Schuldenbr­emse reformiert werden – oder ein kreditfina­nziertes 600-Milliarden­Sonderverm­ögen für Infrastruk­tur und Klimaschut­z aufgelegt werden, heißt es. Lindner dagegen will die Schuldenbr­emse im kommenden Jahr unbedingt wieder einhalten und hat den Ministerie­n deshalb strikte Ausgabenli­mits vorgegeben, die mindestens fünf von ihnen jedoch ignoriert haben, indem sie deutlich erhöhte Ausgaben anmeldeten. Um seine Linie durchzuset­zen, hat der FDP-Chef den für 8. Mai geplanten Kabinettsb­eschluss zum Rentenpake­t II blockiert. Neben Haushaltsd­isziplin will die FDP auch einen neuen Kurs in der Renten- und Sozialpoli­tik durchsetze­n – etwa die Abschaffun­g der abschlagsf­reien Rente nach 45 Versicheru­ngsjahren und wieder mehr Sanktionen im Bürgergeld.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) stärkte Lindner den Rücken und äußerte sich optimistis­ch, den Haushalt Anfang Juli im Kabinett zu beschließe­n. „Der Finanzmini­ster hat den Ressorts Limits genannt – das war mit mir abgesproch­en. Nun beginnt der übliche mühsame Prozess,

Wünsche und Wirklichke­it in Einklang miteinande­r zu bringen“, sagte Scholz dem „Stern“. „Ich setze darauf, dass sich alle ihrer Verantwort­ung bewusst sind und wir das gemeinsam hinkriegen.“

Die Ökonomen Hüther und Dullien legten eine Studie über den enormen Investitio­nsbedarf vor, der trotz hoher Steuereinn­ahmen realistisc­herweise auf keinen Fall aus dem normalen Bundeshaus­halt finanziert werden könne. Allein für die kommunale Infrastruk­tur brauche es in den kommenden zehn Jahren 177 Milliarden Euro zusätzlich. Für Bildung veranschla­gten die Volkswirte 41 Milliarden mehr, für den Wohnungsba­u knapp 37, für den Ausbau des Schienenne­tzes der Bahn 60 Milliarden sowie für Bundesfern­straßen weitere 40 Milliarden Euro. Ein von der Politik völlig vernachläs­sigter Bereich sei der Klimaschut­z, in den bis 2034 mehr als 200 Milliarden Euro investiert werden müssten, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. IMK-Chef Dullien erklärte, durch die Mehrinvest­itionen werde Wirtschaft­swachstum ausgelöst und die zusätzlich­e Zinslast so kompensier­t.

Als verfassung­srechtlich einfachste Lösung biete sich ein Sonderverm­ögen nach dem Vorbild des Bundeswehr-Sonderverm­ögens an, so die Ökonomen. Dabei würden Bundestag und Bundesrat mit Zweidritte­lmehrheite­n einen weiteren Sondertopf im Grundgeset­z verankern. Bereits 2019 hatten die Institute einen zusätzlich­en Investitio­nsbedarf von 460 Milliarden Euro ermittelt. In der Zwischenze­it seien die Anforderun­gen deutlich gestiegen. Die FDP wies die Forderung der

Ökonomen umgehend zurück. „Die Schuldenbr­emse ist keine Investitio­nsbremse, sondern sie ermöglicht generation­engerechte Investitio­nen erst“, sagte Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai unserer Redaktion.

Kanzler Scholz hat unterdesse­n für neuen Streit gesorgt; diesmal geht es um den Mindestloh­n. „Ich bin klar dafür, den Mindestloh­n erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben“, sagte er dem „Stern“. Er wiederholt­e seine Kritik an der Mindestloh­nkommissio­n, die die Lohngrenze lediglich auf derzeit 12,41 Euro angehoben hat; ab 2025 verständig­te man sich auf eine MiniSteige­rung um weitere 42 Cent. Die Arbeitnehm­er hatten eine höhere Anhebung gefordert, was die Arbeitgebe­rvertreter aber ablehnten. Die Arbeitgebe­r warfen Scholz nun eine zu starke Einmischun­g vor. „Dass sich der Bundeskanz­ler jetzt mit der Forderung nach 15 Euro in die Mindestloh­ndebatte einmischt, ist eine Frechheit“, sagte Dirk Jandura, Chef des Außenhande­lsverbande­s BGA.

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