Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Von der Leinwand auf die Leinwand

Der Film „Mit einem Tiger schlafen“, benannt nach einem Gemälde der Künstlerin Maria Lassnig, pendelt zwischen Spielfilm und Dokumentat­ion. Daraus entsteht ein eigenwilli­ges, doch nicht vollständi­ges Bild.

- VON ESTHER BUSS

(kna) Für das Erzählen der eigenen Biografie sah sich die Avantgarde­Künstlerin Maria Lassnig zeit ihres Lebens selbst zuständig. 1992 entstand mit dem achtminüti­gen Film „Maria Lassnig Kantate“(in Zusammenar­beit mit Hubert Sielecki) ein biografisc­her Film der anderen Art.

Vor gezeichnet­en animierten Hintergrün­den lässt Lassnig in wechselnde­n Kostümen singend die wichtigen Stationen ihres Lebens Revue passieren: angefangen von der schmerzhaf­ten Kindheit im österreich­ischen Kärnten und dem Erwachen als Künstlerin über den Besuch der Kunstakade­mie und die Zeit in Paris und New York bis hin zu ihrer Ernennung als Professori­n. Der kauzige Humor und das Collagenha­fte, die den Film auszeichne­n, finden sich auch in „Mit einem Tiger schlafen“von Anja Salomonowi­tz wieder.

Salomonowi­tz hat sich mit hybriden Filmen einen Namen gemacht, die dokumentar­isches Material in Szene setzen und verfremden. „Mit einem Tiger schlafen“, der nach dem Titel eines Gemäldes von Lassnig aus dem Jahr 1975 benannt ist, folgt trotz diverser Verfremdun­gseffekte – das Durchbrech­en der vierten Wand, surreale, performati­ve und dokumentar­ische Elemente –, hingegen gewissen Gesetzmäßi­gkeiten des biografisc­hen Genres: historisch­e Settings, die Erzählung wichtiger Lebensstat­ionen, eine Schauspiel­erin (Birgit Minichmayr), die Maria Lassnig nicht nur verkörpert und zeigt, sondern auch spielt im Sinne

von Einfühlung, Nachahmung, Repräsenta­tion. Dem Illusionis­mus werden jedoch Grenzen gesetzt.

Minichmayr ahmt Haltungen, Gesten und Mimik von Lassnig nach und „kärnert“ordentlich, sie spielt die Figur jedoch äußerlich unveränder­t: von der jungen, um Anerkennun­g kämpfenden Malerin bis zur sichtbar gebrechlic­hen Künstlerin, die in ihren letzten Lebensjahr­en mit zahlreiche­n Ausstellun­gen geehrt wird. Der Erfolg kommt viel zu spät; froh macht er Lassnig nicht mehr.

„Mit einem Tiger schlafen“ist auch ein Film mit klar feministis­cher Agenda. Er erzählt, was es bedeutet, als Künstlerin in einer patriarcha­len Kunstwelt ständig übertönt und übersehen zu werden. An der Seite ihres Lebensgefä­hrten Arnulf Rainer bekommt Lassnig die Repression­en und Ausschlüss­e bitter zu spüren; bei einem Termin mit einer Galeristin

wird sie zur Übersetzer­in des aufstreben­den Künstlers degradiert.

Zentraler Schauplatz des Films ist das Atelier. Vom eigentlich­en Malakt aber ist wenig zu sehen. Stattdesse­n sieht man Lassnig mit geschlosse­nen Augen vor der leeren Leinwand sitzen, sie krümmt ihren Körper halb auf dem Bildträger liegend oder verzieht den Mund zu Grimassen, um sich in Empfindung­en hineinzufü­hlen, die sich auf den fertigen Bildern als deformiert­e Körper, Fratzen, Mutationen manifestie­ren. Lassnigs Interesse galt der Sichtbarma­chung von Körperwahr­nehmungen; ein Prinzip, das sie „Body Awareness“nannte. Auch der Film denkt die Figur stark vom Körper aus. Gleich im ersten Bild ist die Rückenansi­cht der Künstlerin zu sehen. Sie zieht ihre Schultern hoch, spannt sie zu kleinen Flügeln.

Anders als die meisten biografisc­hen Filme über Künstlerin­nen und Künstler befasst sich „Mit einem Tiger schlafen“ausführlic­h mit der künstleris­chen Praxis. Passagen aus Interviews, in denen Lassnig über den Körper oder über ihren „Farbsinn“spricht, werden in Dialogzeil­en eingewoben.

Salomonowi­tz trägt Lassnigs Ideen aber auch auf andere Weise in die Filmwelt, etwa wenn sich die expressive Farbigkeit der Bilder in den wild gemusterte­n Pullovern und Trainingsa­nzügen der Künstlerin fortsetzt. Die Fiktion wird dabei immer wieder zugunsten der Wirklichke­it aufgebroch­en. Etwa wenn die Fotografin Elfie Semotan die Film-Lassnig porträtier­t und in einer anschließe­nden Interviews­zene ihre Erinnerung an die echte Begegnung teilt. Oder wenn der Mitarbeite­r eines Auktionsha­uses zu Wort kommt und von der „historisch­en“Versteiger­ung eines LassnigGem­äldes berichtet.

Diese Öffnungen ins Dokumentar­ische werden jedoch nur angerissen und sind zu beliebig, um sich zu einer autonomen Form zu verdichten. Ähnlich verhält es sich mit Lassnigs Gemälden, die als formatfüll­ende Abbildung auf weißer Fläche die Spielhandl­ung für einen jeweils kurzen Moment unterbrech­en. Sie stehen weniger für sich, treten vielmehr als Beweisstüc­ke des eben Gesehenen auf. Am Ende beschneide­t der Film die Freiheiten, die er sich nimmt, selbst.

„Mit einem Tiger schlafen“, Österreich 2024 – Regie: Anja Salomonowi­tz; mit Birgit Minichmayr, Johanna Orsini, Oskar Haag; 107 Minuten

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FOTO: ARSENAL FILMVERLEI­H Birgit Minichmayr spielt in „Mit einem Tiger schlafen“die österreich­ische Künstlerin Maria Lassnig.

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