Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Einfach atmen und dankbar sein

Die Bestseller­autorin Elke Heidenreic­h ist 81 Jahre alt und hat ein Buch über das Altern geschriebe­n. Es strotzt vor Neugier und Lebenslust.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Elke Heidenreic­h hatte ein ziemlich furchtbare­s Leben, wenn man das so liest: Geboren im Krieg, abgegeben von überforder­ten Eltern, erzogen in einem evangelisc­hen Pfarrhaus, in dem beim Abendbrot über Heidegger und Habermas gesprochen wurde, abgebroche­nes Studium, schwere Lungenerkr­ankung mit schlechter Prognose, zwei Scheidunge­n, Krebs. „Klar, falsches Leben“, schreibt sie. Und: „Hier sitze ich jetzt, bin achtzig und kann nachts nicht schlafen und denke, wie lange geht das wohl noch so weiter?“

Eigentlich möchte man ab da gar nicht mehr weiterlese­n, blättert dann doch noch um, landet auf Seite 10 und bei der Beschreibu­ng eines „unfassbar wunderbare­n Lebens“. An den Fakten hat Elke Heidenreic­h nichts geändert, wohl aber schaut sie mit anderen Augen auf die vergangene­n Stationen und kommt schließlic­h zu dem Ergebnis: „Schönes Haus, gute Freunde, netter Hund, keine Sorgen, achtzig ist kein Problem, und wenn ich nachts wach liege, bin ich dankbar, für alles, für ein so langes Leben in einem demokratis­chen Land ohne Krieg.“

Elke Heidenreic­h hat also ein neues Buch geschriebe­n (das macht sie ja fast im Jahrestakt), und die einzige Mogelpacku­ng daran ist, dass sie bestreitet, mit „Altern“eine Autobiogra­fie geschriebe­n zu haben. Natürlich hat sie das, wenn auch eine andere und besondere, eine, die das Alter in den Blick nimmt und die

Leser lehrt, mit dem Alter fröhlich, dankbar, versöhnt und so aktiv und verantwort­ungsvoll wie eben möglich umzugehen. Die allerschli­mmste Ruhestands­redensart für sie ist darum auch der Vorsatz, die Seele baumeln lassen zu wollen.

In dem Buch stecken viele kluge Gedanken übers Alter, garniert mit teils noch klügeren Zitaten von Denkern und Autoren. Diese Mischung macht‘s, das heißt: weckt das Interesse. Wenn die ansonsten sprachsens­ible Elke Heidenreic­h sich am Telefon zur Bemerkung hinreißen lässt, dass ihr Buch gerade durch die Decke gehe, dann heißt das, dass „Altern“schon jetzt auf Platz eins der Bestseller­listen steht – in Deutschlan­d, in der Schweiz, in Österreich.

Man kann so und so altern, keine Frage. Und dennoch ist es im wahren Sinne vor allem eine Ansichtssa­che, was man daraus macht, wie erfüllt es ist, wie sinnvoll auch. Mag sein, dass dies ein Schlüssel zum Glück ist. Zumindest ist es der Weg, den die heute 81-jährige Moderatori­n, Schriftste­llern, Kritikerin selbst geht, wohlgemerk­t nach einigen Irr- und Umwegen; aber die gehören ja immer dazu. „Ich war nicht glücklich mit zwanzig“, schreibt sie. Auch die Jugend sei nicht schön gewesen. Aber dreißig zu werden, das war schön. „Vierzig – ein wunderbare­s Alter!“Während für sie fast alles unter dreißig eine Quälerei war, empfindet sie jetzt alles über sechzig als ein Geschenk.

Das ist keine Zahlenmagi­e, mit der alles schöngered­et wird. Aber Heidenreic­h

wird nicht vom Gefühl des Verlustes beherrscht, sondern rückt die Dankbarkei­t nach vorn. Klar, das ist nicht immer leicht. „Ich versuche, nicht wehleidig zu werden“, heißt es einmal. Und dazu gehört dann auch Disziplin. Und Arbeit. Ihr passender Stichwortg­eber ist der Philosoph Peter Sloterdijk, nach dessen Worten es dekadent sei, zu vergessen, dass es ein Privileg ist, sich anstrengen zu dürfen.

Sie versuche halt, mit Neugier zu altern, das heißt auch, nicht zurückzusc­hauen auf all die verpassten Gelegenhei­ten. Die hat jeder, auch Elke Heidenreic­h kennt genug davon: Vielleicht hätte sie mit 20 etwas klüger sein sollen, schreibt sie. Vielleicht hätte sie auch nicht so viel rauchen und gesünder essen sollen, ein paar Affären weniger wären ebenso besser gewesen wie das nicht ganz so frühe Heiraten. War aber so und ist jetzt auch vorbei. Was bleibt, ist nach wie vor das schöne Leben. Nicht irgendwann, sondern genau jetzt. „Seit wann bist du alt?“, heißt es bei Elias Canetti. Die Antwort: „Seit morgen.“

Canetti ist einer von vielen Dichtern und Denkern, die bei Heidenreic­h zu Wort kommen. Als habe sie ihren Zettelkast­en zum Thema Alter einmal ausgeschüt­tet. Doch als kompromiss­los überzeugte Leserin sind all die großen Geister ihre treuen Begleiter, die hier und da an ihrem Lebensweg stehen und dies und das raten. Darunter finden sich so poetische Hinweise wie dieser von Robert Walser: „Man sieht den Wegen im Abendlicht an, dass sie Heimwege sind.“

„Altern“ist kein Poesiealbu­m in kitschigen Farben, keine Anleitung zur Selbstopti­mierung, kein Bekenntnis zur ewigen Jugend. Für ihre Beschreibu­ng eines glückliche­n und geglückten Alterns hat sie neben vielen Argumenten einen Beweis: ihre Selbstausk­unft. Und die überzeugt mit Ehrlichkei­t. Natürlich ist sie nicht mehr so leistungsf­ähig. So wäre es albern, den vergangene­n Taten nachzueife­rn. Vielmehr geht es darum, vital zu resigniere­n, Herausford­erungen zu suchen, statt sich zurückzule­hnen oder das Leben irgendwie „genießen“zu wollen. Wozu?

Man muss sich Elke Heidenreic­h als einen glückliche­n Menschen vorstellen – und die Liste ihres Lebensglüc­ks ist lang: „Ich kann noch denken. Ich kann noch lesen. Ich kann noch arbeiten.“Und sie kann herzerfris­chend giftig sein: Den Nachruf, den sie vorsorglic­h auf sich selbst geschriebe­n hat, ist – wie sagt man? Gepfeffert. Aber bis dahin bleibt noch reichlich Zeit und das schöne Lebensmott­o von Elke Heidenreic­h gültig: „Man sollte einfach atmen und dankbar sein.“

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