Rheinische Post Duisburg

Deutlich mehr britische Juden beantragen deutsche Pässe

- VON LUDWIG KRAUSE UND BIRGIT MARSCHALL

Wegen des Brexits suchen auf der Insel lebende Nachfahren von NS-Vertrieben­en eine Möglichkei­t, EU-Bürger zu bleiben.

BERLIN/LONDON Noch vor einem Jahr hätte sich Lianna Etkind nicht vorstellen können, über die deutsche Staatsbürg­erschaft auch nur nachzudenk­en. Mit dem Brexit-Referendum vom Juni 2016 hat sich das geändert: Die 32-Jährige ist eine von Hunderten jüdischen Briten, die die deutsche Botschaft in London kontaktier­t haben, um sich über die Einbürgeru­ng als deutsche Staatsange- hörige zu informiere­n – und so EUBürgerin bleiben zu können. Bis zum Ende des Jahres hat die Botschaft schätzungs­weise 550 Anträge an das Bundesverw­altungsamt weitergele­itet. Davor waren es gerade einmal 25.

Der Artikel 116 des deutschen Grundgeset­zes ermöglicht früheren deutschen Staatsange­hörigen, „denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsange­hörigkeit aus politische­n, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist“, sowie ihren Nachfahren, sich wieder einbürgern zu lassen. Ihre andere Staatsange­hörigkeit müssen sie nicht aufgeben. So wie Lianna Etkind: Ihr Großvater war 1939 vor den Nazis aus Halle an der Saale geflohen.

Auch die Zahl der britischen Juden, die einen portugiesi­schen Pass beantragt haben, soll seit dem Votum im Juni rapide gestiegen sein. So habe etwa die jüdische Gemeinde Porto seit der umstritten­en Brexit-Entscheidu­ng 400 Bewerber registrier­t. In der ersten Jahreshälf­te seien es lediglich fünf gewesen, wie die britische Zeitung „The Guardian“berichtet.

In Deutschlan­d lebten im Jahr 2015 etwa 250.000 jüdischstä­mmige Personen. Die Zahl der Einbürgeru­ngen israelisch­er Staatsbürg­er in Deutschlan­d ist trotz des seit Jahren gärenden Nahost-Konflikts seit 2013 wieder rückläufig. 2015 haben 1481 Israelis und 2014 weitere 1432 den deutschen Pass erworben. 2013 lag ihre Zahl dagegen noch deutlich höher bei 1904. Das geht aus der Antwort des Bundesinne­nministeri­ums auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestags­fraktion hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Die höchste Zahl der Einbürgeru­ngen israelisch­er Staatsbürg­er gab es demnach 2006 mit 4313 Fällen. Insgesamt nahmen 33.321 israelisch­e Staatsbürg­er seit dem Jahr 2000 die deutsche Staatsbürg­erschaft an.

Einwandere­r ohne deutsche Vorfahren nach Artikel 116 müssen ihren israelisch­en Pass abgeben. „Das Verbot der Mehrstaati­gkeit zwi- schen Deutschlan­d und Israel muss endlich fallen“, forderte daher der Grünen-Politiker Volker Beck. „Viele Israelis haben einen engen Bezug zu Deutschlan­d und viele Deutsche, insbesonde­re jüdischen Glaubens, sind eng mit Israel verbunden.“

Die jüdische Gemeinde war 2015 mit 99.695 Mitglieder­n die drittgrößt­e in Europa. Ein Großteil der Mitglieder stammt aus der ehemaligen Sowjetunio­n. Der Zuzug ist in den vergangene­n Jahren aber deutlich gesunken – zuletzt auf 378.

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