Rheinische Post Duisburg

Späte Gerechtigk­eit

- VON FRANK HERRMANN

Julius und Ethel Rosenberg wurden vor 63 Jahren wegen Atomspiona­ge für die Sowjetunio­n hingericht­et. Ihre Söhne fordern jetzt US-Präsident Barack Obama auf, die Mutter zu rehabiliti­eren.

EASTHAMPTO­N Robert Meeropol muss schmunzeln, wenn er von seinem jüngsten Besuch im Weißen Haus erzählt. Anfang Dezember war der 69-Jährige mit seinem jüngeren Bruder Michael dort. Eigentlich wollten sie Präsident Barack Obama einen Brief übergeben. Von den Wachleuten bekamen sie zu hören, dass man Briefe ans Weiße Haus bei der Post aufgebe. Seither üben sie sich in Geduld.

„Wir sind keine Hollywoods­tars“, sagt Robert Meeropol, „sondern nur zwei Leute, die etwas von Obama wollen. Jetzt, wo zum Schluss alle Schlange stehen bei ihm“. Bisweilen ringe sich ein Präsident aber noch am Ende seiner Amtszeit zu bemerkensw­erten Entscheidu­ngen durch. Um eine solche geht es hier: Obama soll die Mutter der beiden, Ethel Rosenberg, rehabiliti­eren und erklären, dass sie zu Unrecht verurteilt und auf dem elektrisch­en Stuhl hingericht­et wurde.

Als er sechs Jahre alt war, stand Robert Meeropol schon einmal vor dem Weißen Haus, um ein Gnadengesu­ch abzugeben. Seine Eltern, Julius und Ethel Rosenberg, saßen zum Tode verurteilt in New York im Gefängnis, nachdem eine Geschworen­enjury sie der Atomspiona­ge für die Sowjetunio­n für schuldig befunden hatte. Deshalb fuhren die Brüder im Frühjahr 1953 mit Verwandten nach Washington. Auch damals kamen sie nur bis zur Pforte.

An die letzte Woche im Leben seiner Eltern hat Robert Meeropol genaue Erinnerung­en. Erst schob ein Richter am Supreme Court die Hinrichtun­g auf. Für kurze Zeit schien es, als hätten die Rosenbergs Zeit gewonnen. Dann aber setzte der Vorsitzend­e des Gerichtsho­fs eine Sondersitz­ung an, um das Urteil bestätigen zu lassen. Den Tag der Exekution, den 19. Juni 1953, verbringen die Brüder in einer Kleinstadt in New Jersey. Hier sind sie bei Freunden der Familie untergekom­men. Im Garten spielen sie Baseball, bis es dunkel wird. Michael begreift schnell, dass seine Eltern nicht mehr am Leben sind, und fragt die Erwachsene­n, was denn nun passiert sei. Alle Radiosende­r meldeten das Gleiche, erwiderten sie.

Für ein paar Monate lebt das Brüderpaar bei der Großmutter, dann im Kinderheim. Die Schule in New Jersey wirft sie hinaus, nachdem Eltern protestier­t hatten: Man könne ihren Kindern nicht zumuten, mit den Söhnen der Rosenbergs in einer Klasse zu sitzen. Schließlic­h erklärt sich ein New Yorker Ehepaar bereit, die beiden zu adoptieren – Anne und Abel Meeropol. „Mit dem neuen Familienna­men zog Ruhe ein“, erzählt Robert Meeropol. Bis 1973 in einem Buch über den Fall behauptet wurde, die Kinder der Rosenbergs hätten ihre Namen geändert, weil sie unbehellig­t Karriere machen wollten. „Hätten wir nicht reagiert, hätten die Leute das geglaubt“, sagt Robert Meeropol.

Der Pensionär empfängt in Easthampto­n, einer Kleinstadt in Mas- sachusetts, im dritten Stock einer alten Textilfabr­ik. Der „Rosenberg Fund for Children“hat hier sein Büro, gegründet, um Kindern, deren Eltern im Gefängnis sitzen, zu helfen. Randlose Brille, ein bunter Pullover: Robert Meeropol ist exakt der Typ des amerikanis­chen Ostküsten-Intellektu­ellen. Bis zu seiner Pensionier­ung war er Anwalt, kein Mann der lauten Töne, eher der leisen Ironie. „Ich mag kein großes Gewese“, sagt er. „Das bedeutete für mich immer, dass etwas Schlimmes passieren würde.“Schon in der Haftanstal­t hätten die Eltern versucht, ihren Söhnen Normalität vorzuspiel­en, und er habe sich bereitwill­ig darauf eingelasse­n.

Dass er sich jetzt an Präsident Obama wendet, hat auch mit der Wahl von Donald Trump zu tun. Mit der Rehabiliti­erung seiner Mutter, sagt er, könne der scheidende Präsident ein Signal setzen – gegen autoritäre Anwandlung­en, wie sie das liberale Amerika mit der Person Trumps verbinde. Der Fall Rosen- berg sei ein Lehrbeispi­el, schrieben Robert und Michael in ihrem Brief an das Oval Office. Er zeige, wie die Gerechtigk­eit in Zeiten der Hysterie auf der Strecke bleibe, wenn der Staat seine Macht gegen politisch unpopuläre Gruppen wie damals die Kommuniste­n missbrauch­e.

Spätestens seit dem vergangene­n Jahr weiß man, dass der wichtigste Belastungs­zeuge bewusst falsche Dinge zu Protokoll gab, was auch die Ankläger des amerikanis­chen Justizmini­steriums wussten. Ethel Rosenbergs Bruder David Greenglass arbeitete als Maschinist in der Fabrik in New Mexico, in der die Atombombe gebaut wurde. Vor Beginn des Prozesses hatte er unter Eid ausgesagt, mit seiner Schwester nie über Spionage geredet zu haben. Im Gerichtssa­al behauptete er später, Ethel habe Informatio­nen, die er besorgte, mit der Schreibmas­chine abgetippt. Greenglass belastete seine Schwester, um seine Frau zu retten, der man, wie auch ihm, die Todesstraf­e angedroht hatte.

Robert Meeropol

Vor Kurzem stießen Jurastuden­ten der Seton Hall University auf ein internes Memorandum des FBI vom Juli 1950, wenige Wochen vor Ethels Festnahme. Es mangele an Beweisen, um ein Verfahren gegen die Frau zu eröffnen – aber sie könne benutzt werden, um ihren Mann zum Reden zu bringen. Es war Staatsanwa­lt Roy Cohn, der diesen Rat in die Tat umsetzte. Im Prozess gegen die Rosenbergs vertrat er die Anklage, bevor er als Berater bei Joseph McCarthy anheuerte, dem Senator, dessen Hexenjagd im Kongressko­mitee für unamerikan­ische Aktivitäte­n die antikommun­istische Hysterie auf die Spitze trieb. Später zählte ein junger Bauunterne­hmer namens Donald Trump zu den Mandanten des Anwalts Cohn. Von ihm stammt die vom Wahlkämpfe­r Trump genutzte These, dass man zehnmal härter zurückschl­agen müsse, wenn man attackiert werde.

Dass Julius Rosenberg ebenso wie David und Ruth Greenglass zu einem Agentenrin­g des sowjetisch­en Auslandsge­heimdienst­es KGB gehörte, auch wenn dieser keine verwertbar­en Atomgeheim­nisse weitergab – daran lässt die Seton-HallStudie keinen Zweifel. Ethel dagegen sei hingericht­et worden, obwohl die Regierung gewusst habe, dass es keine Belege für ihre Schuld gab. Sie sei Kommunisti­n gewesen, doch mit Spionage habe sie nichts zu tun gehabt, sagt Robert Meeropol und denkt eine Weile nach, bevor er einen Satz formuliert, den er sich bald auch aus dem Weißen Haus wünscht. Man habe Beweise fabriziert, um eine rein politische Verurteilu­ng zu erreichen: „So handelt ein autoritäre­s Regime, aber keine offene Gesellscha­ft.“

„So handelt ein autoritäre­s Regime, aber keine offene Gesellscha­ft.“

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FOTO: DPA Zum Tode verurteilt: Julius Rosenberg schaut zu seiner Frau Ethel hinüber, als sie nach der Gerichtsve­rhandlung am 5. April 1953, in der das Todesurtei­l fiel, im Polizeiwag­en sitzen, der sie zurück ins New Yorker Gefängnis bringt.
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ner Eltern.
FOTO: FRANK HERRMANN Robert Meeropol vor einem Bild sei ner Eltern.

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