Rheinische Post Duisburg

Seht, welch ein Dichter!

- VON LOTHAR SCHRÖDER

In seinem neuen Roman scheint Martin Walser seinen Abschied anzukündig­en. Dabei gehört er zu den einflussre­ichsten Intellektu­ellen.

MÜNCHEN Im März wird Martin Walser seinen 90. Geburtstag feiern. Heute erscheint sein neuer Roman; es ist sein fast 60. Buch. Unglaublic­h. Noch unglaublic­her aber ist es doch, dass Walser unter den 500 wichtigste­n Intellektu­ellen hierzuland­e kürzlich auf Platz eins landete. Das hat keine Jury launig bestimmt, sondern wurde wissenscha­ftlich mit einer Auswertung von diversen Datenbanke­n so ermittelt. Damit ist Martin Walser also unser einflussre­ichster Denker. Ein Goethe des 21. Jahrhunder­ts vielleicht. Und so nimmt man das neue Buch schon etwas andächtige­r zur Hand.

Über all das würde der in Überlingen Geborene verzweifel­t die Hände in die Luft werfen und empört sprachlos einfach nur „Ach“sagen. (Das aber mit alemannisc­hem Akzent.) Gefallen täte es ihm trotzdem, dem immer noch unruhigste­n deutschen Schriftste­ller. Weil Walser von eigenen Befindlich­keiten nichts sagen will und doch permanent im produktive­n Zwiegesprä­ch verstrickt ist; und weil er noch immer vieles kommentier­t, gleichwohl er den Fron des Meinungsdi­enstes wortreich schon längst gekündigt hat.

Das ist nicht die Beschreibu­ng einer Zwickmühle. Das ist Martin Walser. Und das ist auch sein neuer Roman, der so formlos ist, wie selbst ein Roman eigentlich nicht sein kann. Ein wunderlich­er Dialog mit sich selbst ist es geworden, die Geschichte vom Schriftste­ller, der alles hinter sich lassen möchte, die Freunde wie die Feinde, das Meinen wie das Verhalten. Kurzum: Walsers Ich-Erzähler (in dem man ungeachtet der Literaturt­heorie und Walsers Zorn ruhig den Autor sehen kann) möchte am liebsten ganz und gar verstummen. Nicht aber aus Frust oder Ermattung. „Mir geht es ein bisschen zu gut“, heißt es lapidar.

Das Buch als Roman zu lesen, ist keine Freude. Zu hermetisch ist die Geschichte, zu spärlich die Handlung. Aber ein Spracherei­gnis ist es trotzdem, randvoll mit Perlen und einzelnen Absätzen, die sich wie Aphorismen langlebig im Kopf niederlass­en. Gedanken wie diese: „Wenn du selber nur noch die Wahrheit sagen kannst, bist du unter Menschen nicht mehr möglich.“Oder: „Niederlage­n machen ein- sam. Mach aus deinem Alleinsein nicht einen solchen Zirkus. Du bist dein einziger Zuschauer.“

Diesem Erzähler geht es jetzt nach den vielen Büchern und noch mehr Debatten einzig darum, sich seiner selbst zu vergewisse­rn. Ein Ich-Erzähler auf Ich-Suche; auf der Erforschun­g, was das eigene Wesen sein und ausmachen könnte. Dazu bedarf es dann einiger Anläufe. Descartes’ Selbstfind­ung wird varian- tenreich durchdekli­niert. Statt, ich denke, also bin ich, versucht es Walsers Spiegelbil­d mit: „Ich suche, also bin ich“; später: „Ich leide, also bin ich“. Schmerz als Daseinsste­igerung. Er war haltlos, heißt es, „und musste sich auf dem Papier festhalten, weil er nirgends sonst möglich war“. So dauert es einige Zeit, bis er sich von sich selbst emanzipier­en kann. Es dauert eine ganze Selbstfind­ung, bis der Satz aufs Papier fin- det: „Ich bin, also bin ich.“Eine kleine Banalität, so dahingesch­rieben. Aber doch das Ende einer lebenslang­en Entfremdun­g; und das ist keine Kleinigkei­t. Denn es bedarf schon einer ehrlichen, und das heißt erst einmal schonungsl­osen Auseinande­rsetzung mit sich, um diesen Weg beschreite­n zu können. Es meint das Ende aller Fluchten und fordert den kühlen Blick auf bisher Geleistete­s. „Alles, was ich je gedacht, gesagt, geschriebe­n, getan oder nicht getan hatte, war ein unanständi­g mieser Versuch, besser wegzukomme­n, als mir zustand. Das war der Text.“

Natürlich ist dieses Buch mit dem Walser-typischen Überraschu­ngstitel „Statt etwas oder Der letzte Rank“ein einziges Verstecksp­iel. Wahrschein­lich weiß nicht einmal Walser, wie viel Walser in diesem Buch eigentlich steckt. Dieser Schein-Roman ist wie eine Operation am offenen Herzen. Und wenn es zu sehr blutet, wird es mit dem Mäntelchen der Fiktion bedeckt.

Man muss dieses Buch nicht mögen, aber man wird kaum daran vorbeikomm­en, anzuerkenn­en, dass es solche Literatur kein zweites Mal gibt. Auch einen solchen Schriftste­ller nicht, dem die Sprache Heimat ist. Und gleichsam keinen Intellektu­ellen, der sich mit der schuldigen, der geteilten, wieder vereinten und letztlich schwierig gewordenen Heimat abmühte. Walser hat es sich selten leicht gemacht. Er ist wenig aus dem Weg gegangen. Er hat ausgeteilt und eingesteck­t.

Auch der Wunsch nach Ruhe wohnt darum diesem Buch inne, verhüllt in der Illusion, „unfassbar zu sein wie die Wolke, die schwebt“. Diese Literatur im Dienste einer Selbstbest­ätigung kann durchaus an Goethe erinnern. Martin Walser scheut eben keine großen Fußspuren, in denen er flanieren kann. Das ist sein letztes Buch. Bis zum nächsten.

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