Telekom – Spätfolgen einer Volksaktie
Der Konzern schafft es nicht, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Die von Anlegern angestrengten Prozesse gehen weiter. Die Öffentlichkeit erinnert sich immer wieder an das Unternehmen als „Totengräber der Aktienkultur“.
BONN Kurz vor Weihnachten 2016 wurde bekannt, dass der Anlegerschutzprozess gegen die Telekom vor den Bundesgerichtshof (BGH) geht. Kläger-Anwalt Andreas Tilp hat Rechtsbeschwerde gegen den Ende November ergangenen Entscheid des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt eingelegt. Auch die Telekom will die Entscheidung geprüft sehen. Das OLG hatte zugunsten von 17.000 Klägern entschieden, die einschließlich der seit 16 Jahren aufgelaufenen Zinsen 200 Millionen Euro Schadenersatz verlangen. Sie warfen der Telekom vor, sie im Jahr 2000 beim dritten Börsengang getäuscht zu haben. Das Urteil des OLG entschied aber nur eine Musterklage. Jede Einzelklage muss noch entschieden werden. Die Einzelprüfungen will Tilp durch ein neues BGHUrteil verhindern und vereinfachen.
So bleibt die Telekom im Gespräch mit dem dritten Börsengang. Für 66,50 Euro wurde damals eine Aktie verkauft. Bald danach brach der Kurs ein und fiel bis September 2002 auf 8,42 Euro. Zum „ersten Börsengang“im Oktober 1996 waren die Papiere für umgerechnet 14,57 Euro verkauft worden. Anfang März 2000 erreichte der Kurs sein Allzeithoch bei 103,50 Euro – Folge der irrationalen Begeisterung für alles, was mit Internet, Mobilfunk und Datentransport zusammenhing.
Der Telekom wird vorgeworfen, diesen Hype mit befördert zu haben, indem sie ihre Aktie mit marktschreierischer Werbung zu verkaufen suchte. Subtiler, aber auch unseriös war der Einsatz des Schauspielers Manfred Krug für die „T-Aktie“. Ein Auftrag, für den sich Krug später entschuldigte. Bis zu seinem Tod litt er darunter. „Telekom. Die machen das“, musste er damals sagen.
So wurde die T-Aktie als neue Volksaktie angepriesen. 1,9 Millionen Privatanleger kauften damals das Papier. Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) zählte 2001 gut 12,8 Millionen Besitzer von Aktien und Ak- tienfonds-Anteilen in Deutschland. 2010 waren es nur noch 8,4 Millionen – viele hatten sich, verschreckt unter anderem durch den Kollaps von Internet- und Telekomaktien, von Aktien abgewandt. Mittlerweile hätten die Deutschen wieder Vertrauen in die Aktie und den Aktienfonds gefasst, so das DAI.
Doch immer noch haben nur etwa sechs Prozent der Deutschen über 14 Jahren Aktien (ohne Fonds). In Amerika sind es 25, in der Schweiz 20 Prozent. Die Deutschen wüssten zu wenig über Wirtschaft, ist eines der Erklärungsmuster. Außerdem scheuten sie das Risiko, versicherten sich lieber, statt zu investieren. Dass sie darin bestärkt wurden, als sie mit der „Volksaktie“Telekom Schiffbruch erlitten, klebt an dem Papier. Es sei „kein schönes Kapitel“in der Telekom-Geschichte, sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).
Allerdings ließen sich Versicherungen, Fonds und andere institu- tionelle Anleger nicht vom Kauf der Aktie abhalten, räumt er ein. Tatsächlich gibt es Dax-Aktien, die in den vergangenen 20 Jahren deutlich schlechter liefen als die der Telekom. Der Kurs lag gestern bei 16,55 Euro, 14 Prozent über dem Preis von 1996. Zum Vergleich: Die Commerzbank-Aktie ist von 107 auf knapp acht Euro eingebrochen (inclusive Aktien-Zusammenlegungen), der Kurs der Deutschen Bank hat sich halbiert. Noch mehr verloren RWE und Eon.
Das sind keine Argumente gegen Aktien, sondern dafür, sein Geld nicht in ein einzelnes Papier zu stecken, sondern zu mischen. Der Dax insgesamt hat in den vergangenen 20 Jahren jährlich mehr als sieben Prozent gewonnen. Der Gewinn floss zu zwei Drittel an ausländische Investoren. Warum die Deutschen nicht in ihre Wirtschaft investieren? „Das ist uns ein Rätsel“, räumt DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler ein. Psychologisch trägt die Telekom eine Mitschuld.