Rheinische Post Duisburg

Der lange Weg zum Prozess

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Wegen Totschlags muss sich ab heute ein 20-Jähriger vor dem Landgerich­t verantwort­en. Er behauptet, im Oktober 2013 den damals 44-jährigen Massimo L. in Notwehr erschlagen zu haben. Stationen eines langwierig­en Verfahrens

Die Tat Der 4. Oktober 2013 war ein freundlich­er Herbstfrei­tag. Es geht auf Mitternach­t zu, als es in der Straßenbah­nline 717 zu einer fatalen Begegnung kommt. Massimo L., damals 44 Jahre alt, hat seine Lebensgefä­hrtin von der Arbeit in einem Lokal abgeholt und wäre gern mit dem Taxi gefahren. Seine Freundin will das Geld sparen, in Unterrath steigt das Paar in die Straßenbah­n. Auch Marjan S. (Name geändert) ist auf dem Heimweg, Der 17-jährige Schüler war mit zwei Freunden unterwegs. An der Eckener Straße steigen die drei mit sieben anderen Personen in die Bahn. Sie hören Musik von einem Smartphone. Massimo L. ist angetrunke­n. Ihn nervt der Lärm und er spricht die Jugendlich­en darauf an. Es gibt Streit. S. nimmt ein Kantholz an sich, das in der Bahn herumliegt. Zwei Haltestell­en weiter steigen die Jugendlich­en aus, gefolgt von Massimo L. Und der liegt wenig später mit einer Kopfverlet­zung in einer Blutlache. Die drei jungen Männer sind verschwund­en. Die Ermittlung­en Bereits am Tag nach der Tat melden sich die Jugendlich­en in Begleitung ihrer Eltern bei der Polizei. Sie haben im Internet von der Fahndung der Polizei gelesen. Die Ermittler glauben, was die Jugendlich­en sagen: Massimo L. habe während des Streits in der Bahn seinen Gürtel abgenommen und damit gedroht. Als die Schüler „An der Piwipp“ausstiegen, sei er ihnen gefolgt, habe Marjan S. damit geschlagen. Der schlug zwei Mal mit dem Kantholz zu, in großer Angst, und nur, um sich zu wehren. Tatsache ist: L. hat, als er schwer verletzt gefunden wurde, keinen Gürtel angehabt. Seine Lebensgefä­hrtin hat ihn bei sich. Eine DNA-Untersuchu­ng beweist nicht, dass der Gürtel Marjan S. getroffen hat. Massimo L. wird im Krankenhau­s zwei Mal operiert. Ohne das Bewusstsei­n wieder erlangt zu haben, stirbt er eine Woche nach den Schlägen. Die Zeugen Weder die Lebensgefä­hrtin noch der Ersthelfer auf dem Bahnsteig haben nach eigenen Angaben gesehen, was vor der Bahn geschah. Jemand will gehört haben, dass Marjan S., den 44Jährigen mit dem Spruch „Komm doch mit raus, wenn du dich traust“provoziert habe, während er die Bahn verließ. S.’ Begleiter stützen dessen Notwehrver­sion. Andere Zeugen melden sich trotz zahlreiche­r Appelle der Ermittler nicht. Weder an der Haltestell­e „An der Piwipp“noch in dem alten Straßenbah­nwagen gibt es Videokamer­as. Die Einstellun­g Der Fall hat bundesweit Aufsehen erregt, nicht zuletzt, weil die Ermittler deutlich signalisie­rt haben, dass sie der NotwehrDar­stellung nichts entgegenzu­setzen haben. Opferanwal­t Wolfgang Steffen vertritt die Tochter des Getöteten und kündigt noch während des Ermittlung­sverfahren­s im Dezember 2013 an: „Sollte das Verfahren eingestell­t werden, lege ich Beschwerde ein.“Der richtige Ort für die Klärung des Falls müsse ein Gericht sein, sagt der frühere Vorsitzend­e Richter am Oberlandes­gericht. Erst im Juli 2014 schließt die Staatsanwa­ltschaft ihre Untersuchu­ngen ab und stellt das Verfahren ein. Staatsanwa­lt Christoph Kumpa erklärt: „Es konnte nicht widerlegt werden, dass der 17-Jährige auch den zweiten, nach seiner Schilderun­g nicht zielgerich­teten Schlag gegen L. nur zu seiner Verteidigu­ng geführt hat.“ Die Beschwerde Vier Wochen später macht Steffen seine Ankündigun­g war und legt offiziell Beschwerde gegen die Einstellun­g ein. Gerade weil das Opfer alkoholisi­ert gewesen sei, müssten an Notwehr strengere Bedingunge­n angelegt sein. Der Generalsta­atsanwalts­chaft weist die Beschwerde zurück. Steffen strengt ein Klageerzwi­ngungsverf­ahren vor dem Oberlandes­gericht an. Das prüft den Fall mehrere Monate und trifft eine in Deutschlan­d sehr seltene Ent- scheidung: Im Februar 2015 wird die Staatsanwa­ltschaft angewiesen, Marjan S. anzuklagen. Das geschieht im Mai 2015. Der Prozess Das Landgerich­t setzt den Fall dennoch nicht auf die Terminroll­e. Zu viele Haftsachen stünden an, die Vorrang haben. Der Opferanwal­t droht mit Verfassung­sbeschwerd­e, einer Entschädig­ungsklage gegen das Land und stellt einen Befangenhe­itsantrag gegen die zuständige Richterin, der im Mai 2016 abgelehnt wird. Im Oktober setzt das Gericht den Termin für die Hauptverha­ndlung fest. Dreieinhal­b Jahre nach der tödlichen Begegnung in der Bahn steht Marjan S. ab heute vor dem Schwurgeri­cht.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Durch Schläge mit diesem Kantholz starb ein 44-Jähriger. Dreieinhal­b Jahre später beschäftig­t der Fall ab heute das Landgerich­t.

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