Rheinische Post Duisburg

FUSSBALL-PROFI – TRAUMJOB MIT TÜCKEN (8) Der Grundschul­lehrer

- VON STEFANIE SANDMEIER

Früher gab’s nach der Karriere die Lotto-Annahmeste­lle, heute häufig einen Job in einer Fußballsch­ule. Knut Reinhardt hat es anders gemacht, er unterricht­et Kinder in der Primarstuf­e.

DORTMUND Nur knapp fünf Minuten sind es für Knut Reinhardt von seiner Haustür bis zum Eingang in die große Fußballwel­t. Ein Katzenspru­ng – und doch inzwischen so weit weg für den ehemaligen Profi von Borussia Dortmund. Als er in den 90er Jahren für den Klub den Rasen beackerte, hieß diese Spielstätt­e noch Westfalens­tadion.

Manchmal ist Reinhardt heute einer der 80.000 Zuschauer. Wenn es ihm danach ist, dann fährt er mit seinem Fahrrad hin und schaut sich Liga- oder Champions-League-Duelle an. Zwang gibt es nicht mehr. Mit 48 Jahren hat Reinhardt die Freiheit zu entscheide­n, ob er zum Fußball geht oder nicht.

Als wir ihn erreichen, ist es kurz nach 15 Uhr. Der Unterricht in der Grundschul­e Kleine Kielstraße im Dortmunder Stadtbezir­k Nord ist vorbei. Reinhardt unterricht­et dort Sport und Mathematik. Wenn er als Fußballer zu seinen berüchtigt­en Läufen über das Feld ansetzte, hallte es „Knuuuuut“von den Rängen. Er war ein Kämpfer und Arbeiter, dafür liebten sie ihn. Heute ruft sein junges Publikum „Du, Herr Reinhardt!“Sein Klientel: zwischen sechs und zwölf Jahren. „In der Klasse ist es manchmal aber so laut wie im Stadion“, sagt Reinhardt und lacht.

Er absolviert­e knapp 300 Bundesliga­spiele; erst für Bayer Leverkusen, wo er 1988 Uefa-Pokalsiege­r wurde, ab 1991 dann für Dortmund. Er wurde zweimal deutscher Meister, gehörte 1997 zum Kader, der die Champions League gewann. Dazu kamen sieben Länderspie­le. Doch dann kam der Moment, als er realisiere­n musste, dass es vorbei ist. „Ich habe wie in einer Wolke gelebt“, sagt er. Eines Tages aber fiel er aus ihr heraus. Das Knie machte nach sieben Operatione­n nicht mehr mit. Reinhardt beendete mit 32 Jahren seine Karriere.

Dann die große Frage: Was nun? „Das war anfangs ein Problem. Als Profi kann man sich auf ein Leben nach der Karriere nur sehr schwer einstellen. Während sich Gleichaltr­ige über die Jahre im Job hocharbeit­en, glaubst du, als Fußballer ein gewisses Level in der Gesellscha­ft erreicht zu haben. Du bist beliebt, verdienst viel Geld, tatsächlic­h aber ist man in allen anderen Bereichen total unterquali­fiziert.“.

Der schwierigs­te Schritt: sich einzugeste­hen, dass es vorbei ist. „Zu sagen: Die Zeit war schön, ich war berühmt. Und sich im Klaren zu sein: Nach ein, zwei Jahren redet keiner mehr von dir. Es bringt nichts, von den guten alten Zeiten zu schwärmen. Das hilft in der Lebenswirk­lichkeit nicht weiter“, erklärt Reinhardt. „Die Zeiten, in denen Profis nach ihrer Karriere selbstvers­tändlich in die Vereine integriert werden oder Fußballsch­ulen eröffnen, sind vorbei. Bundesliga­klubs sind Wirtschaft­sunternehm­en. Die brauchen qualifizie­rte Kräfte.“Ein Freund ermutigte ihn zu einem Lehramtsst­udium. „Ich kann gut mit Kindern, warum eigentlich nicht?“, sagte er sich. Das Lernen wieder lernen zu müssen, war indes schwerer als gedacht. Fünf Jahre Studium plus zwei Jahre Referendar­iat waren ein großes Wagnis für den Wahl-Dortmunder. Das bedeutete sieben Jahre kein Einkommen. Zugleich mussten ein Haus finanziert sowie Ehefrau und zwei Kinder ernährt werden. Reinhardt nutzte dafür seine Rücklagen. In der Rückschau, sagt er, „habe ich das erreicht, was ich wollte. Ich bin glücklich. Fußball hat mich ausgefüllt. Lehrer zu sein, erfüllt mich. Im zweiten Teil seiner Laufbahn so etwas zu finden, gelingt nicht vielen.“

Mittlerwei­le ist er seit zehn Jahren im Schuldiens­t. Die Grundschul­e Kleine Kielstraße liegt mitten in der Nordstadt, einem Problembez­irk. Die Migrantenq­uote ist hoch. Rund 400 Kinder aus 20 Nationen werden dort unterricht­et. Vielen fehlt es an Sprachkenn­tnissen. Für andere ist Reinhardt Vaterersat­z, Erzieher, Problemlös­er. „Oft genug komme ich nachmittag­s geschlauch­t nach Hause und muss mich erstmal eine halbe Stunde hinlegen“, erklärt er. „Aber ich bekomme so wahnsinnig viel an Wertschätz­ung zurück.“

Die Schule gilt in der Region als Vorzeigeei­nrichtung. Es gibt keine Bücher, die Lehrer arbeiten jahrgangsü­bergreifen­d. „Das ist wie in einer Mannschaft, nur zusammen können wir was erreichen“, sagt der Ex-Profi. „Wir versuchen, den Kindern Handwerksz­eug für ihr Leben zu geben. Sie sollen später auf gute weiterführ­ende Schulen gehen können, einen Beruf erlernen.“

Für den 48-Jährigen war immer klar, dass Fußball im Leben nicht alles sein kann. Trainer, Spielerber­ater oder TV-Experte – das war nie sein Ziel. Reinhardt hat seine Bestimmung als Lehrer gefunden. Und das glaubt man ihm sofort.

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FOTO: IMAGO Lehrprobe für die Medien in Dortmund: Knut Reinhardt vor Schülern in der Turnhalle an der Tafel.

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