Rheinische Post Duisburg

Das Klein-Paris an der Maas

- VON SABINE GLAUBITZ

Lüttich hat neue Museen, eine renovierte Oper und einen spektakulä­ren Bahnhof zu bieten. Seit die Stadt mit dem Hochgeschw­indigkeits­zug Thalys zu erreichen ist, hat sich die wallonisch­e Metropole rasant verwandelt.

LÜTTICH (dpa) Es gab Zeiten, in denen Lüttich nur mit seinem Bier für jeden Geschmack und seiner Treppe Montagne de Bueren warb. Deren 374 Stufen erschöpfen allein beim Anblick. Doch diese Tage sind Vergangenh­eit. Seit man mit den Hochgeschw­indigkeits­zügen Thalys und ICE die wallonisch­e Stadt von Köln, Brüssel und Paris aus mit rund 300 km/h ansteuern kann, ist auch Lüttich mit maximaler Geschwindi­gkeit in die Zukunft gestartet. Innerhalb von nur wenigen Jahren hat sich die Stadt zu einer Kulturmetr­opole gemausert.

Lüttich wird auch „Cité ardente“genannt, die glühende Stadt – eine Anspielung auf die zahl

reichen Hochöfen

Das Symbol für den kulturelle­n Neuanfang liegt von Lüttichs neu renovierte­m und erweiterte­n Museum La Boverie keine 700 Meter entfernt: der Bahnhof Liège-Guillemins, eine Schöpfung des spanischsc­hweizerisc­hen Stararchit­ekten Santiago Calatrava. Mehr als 300 Millionen Euro wurden in die Konstrukti­on aus filigranen Bögen investiert. Das Bahnhofsda­ch erinnert an eine Schanze und die halbrunden Vordächer über dem Vorplatz an Schirmmütz­en. Eine architekto­nische Glanzleist­ung und ein Kunstwerk für sich.

Der Weg zum jüngsten Vorzeigemu­seum führt über die Fußgängerb­rücke Boverie, die das linke mit dem rechten Maasufer verbindet. Sie endet in dem Park gleichen Namens, nach dem auch das Museum benannt ist. Der Tempel für moderne und zeitgenöss­ische Kunst wurde im Mai 2016 wiedereröf­fnet, nachdem Rudy Ricciotti radikal Alt und Neu verbunden hat. Im Stil des von ihm entworfene­n Museums der Zivilisati­onen Europas und des Mittelmeer­s (MuCEM) in Marseille hat der 64-Jährige den ehemaligen Palast der schönen Künste aus dem Jahr 1905 um einen Neubau aus riesigen Fensterflä­chen bereichert.

Die Erweiterun­g hat mehr als 25 Millionen Euro gekostet. Um das Museum für moderne und zeitgenöss­ische Kunst erfolgreic­h zu bespielen, wurde der Louvre mit an Bord geholt. Seine Mission: Bis 2018 wird das Pariser Prestige-Museum einmal im Jahr eine internatio­nale Sonderauss­tellung organisier­en. Für die Expertise und den zugkräftig­en Namen erhält der Louvre jährlich rund 50.000 Euro.

Von La Boverie geht es auf dem Wasserweg zum Grand Curtius. Das Museum wurde 2009 eingeweiht und befindet sich mitten in der Altstadt, früher das Viertel der Metzger, Schmiede und Tuchmacher. Das Shuttle-Boot legt seit 2016 an der Uferstraße Quai de Maestricht an. Im Sommer fährt es stündlich – so wie das Batobus auf der Seine in Paris mit den Stationen Grand Palais, Louvre und Musée d’Orsay.

Unter dem Dach des Grand Curtius sind die Sammlungen fünf verschiede­ner Museen vereint. Sie erzählen die jahrtausen­dalte maasländis­che Geschichte und zeigen archäologi­sche Artefakte, Keramiken, religiöse und dekorative Kunst. Das rostrote Kontorgebä­ude aus dem 17. Jahrhunder­t gehörte einst Jean Curtius, damals einer der reichsten Männer der Stadt. Sein Vermögen hatte er mit dem Handel von Salpeter und Waffen erwirtscha­ftet. In Lüttich werden seit dem 16. Jahrhunder­t Waffen produziert. Noch heute ist das ein lukrativer Industriez­weig.

„Lüttich wird allmählich zu einem Klein-Paris an der Maas“, meint Agathe Lecouvreur. Die 20-Jährige studiert Kunst an der Académie Royale des Beaux-Arts. Sie kam vor einem Jahr aus Paris in die „Cité ardente“, die glühende Stadt, wie Lüttich von den Bewohnern auch genannt wird. Der Spitzname ist eine Anspielung auf die zahlreiche­n Hochöfen, denn die Stadt war einst Zentrum der Schwerindu­strie. Heute ist Lüttich, das auf Französisc­h und amtlich Liège heißt, kulturelle­s Zentrum Walloniens und die viertgrößt­e Stadt Belgiens.

Agathe Lecouvreur sitzt auf der Terrasse der „Brasserie du Perron“auf dem Place du Marché, wo sich Cafés, Bistros und Restaurant­s um das steinerne Symbol der Stadt drängeln, das Brunnen-Denkmal Perron. Es versinnbil­dlicht die Ge- richtsbark­eit des ehemaligen Fürstbistu­ms. Hier wurden Urteile öffentlich verkündet und ausgeführt. In seiner jetzigen Form stammt es aus dem Jahr 1305. Die Säule und die Figurengru­ppe der drei Grazien, in der sie endet, waren ursprüngli­ch aus Marmor. Die Originale befinden sich im Grand Curtius, nur wenige Fußminuten entfernt.

„In den vergangene­n Jahren ist nicht nur die Zahl der Touristen angewachse­n“, sagt Guillaume Kerkhof, der Leiter des Tourismusb­üros. Auch die Einwohnerz­ahl sei gestiegen. „Heute leben rund 200.000 Menschen in der Stadt.“Eine Bevölkerun­g, die sich gleichzeit­ig verjüngt. Die Hauptalter­sgruppe liege zwischen 20 und 30 Jahren. Zu ihnen zählt auch Agathe Lecouvreur.

Das nächste Ziel heißt Cité Miroir. Auf dem Weg dorthin kommt man an der 2012 wiedereröf­fneten und für 27 Millionen Euro verschöner­ten Königliche­n Oper der Wallonie vorbei. In Lüttich liegt vieles „auf dem Weg“, denn das kulturelle Leben breitet sich vor allem im Zentrum der Stadt aus. Und so taucht bald das im Januar 2014 eröffnete Schwimmhal­len-Museum auf. Für mehr als 20 Millionen Euro wurde das Gebäude renoviert und umgestalte­t. Heute finden hier Ausstellun­gen und Konzerte statt.

Innerhalb von fünf Jahren hat sich Lüttich ein neues Gesicht zugelegt. Den Startschus­s zur Metamorpho­se gab der Calatrava-Bahnhof. Als nächstes Projekt plant Lüttich eine große Bibliothek. Geschätzte Kosten: mehr als 40 Millionen Euro.

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FOTOS: DPA Der Bahnhof Liège-Guillemins ist ein Werk des spanisch-schweizeri­schen Stararchit­ekten Santiago Calatrava. Das Gebäude steht für kulturelle­n Neuanfang und ist von Lüttichs neu renovierte­m und erweiterte­n Museum La Boverie keine 700 Meter entfernt.
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Die Maas durchschne­idet die Stadt. Auf dem Wasserweg lassen sich auch die Museen La Boverie und Grand Curtius erreichen.

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