Rheinische Post Duisburg

Szenische Utopie der Brüderlich­keit

- VON INGO HODDICK

Das Gastspiel des Münchner Volkstheat­ers beim Theatertre­ffen der 38. Duisburger Akzente „Umbrüche“zeigte: Kaum ein Theater-Klassiker könnte aktueller sein als „Nathan der Weise“(1779) von Gotthold Ephraim Lessing.

Es geht vor allem in der zentralen Ringparabe­l darum, dass zumindest die drei großen und aufeinande­r aufbauende­n monotheist­ischen Weltreligi­onen Judentum, Christentu­m und Islam unterschie­dliche, aber dennoch gleichwert­ige Wege zur Barmherzig­keit sind. Dass sie immer wieder in ihr Gegenteil missbrauch­t werden, dass sogar im Namen Gottes gemordet wird. Und dass Toleranz möglich ist, also im Anderen nichts als den Mitmensche­n zu sehen. Die Utopie der Brüderlich­keit ist heute dringliche­r und bedrohter denn je, auch nach fast 250 Jahren. Schon das Stück nennt die Ringparabe­l ein „Märchen“. In die Proben zu dieser Produktion im Januar 2015 platzten die Anschläge von Paris, und wenn in „Nathan der Weise“ein Christ von bestimmten Moslems sagt, er lasse „die Hunde auf sie hetzen“, dann erinnert das an Fernsehbil­der der vergangene­n Woche aus den Niederland­en.

Christian Stückl, bekannt als Regisseur der Oberammerg­auer Passionssp­iele, hat diesen erstklassi­gen Text nicht dekonstrui­ert, wie es sonst seine Art ist, sondern verdeutlic­ht. Dafür benötigt er nur wenige Änderungen, vor allem macht er aus Sittah, der emanzipier­ten Schwester von Sultan Saladin, einen Bruder Melek, begleitet von finsteren Wüstenkrie­gern mit der Kalaschnik­ow im Anschlag, die Nathans Freund Al-Hafi dann doch mit dem Messer beseitigen, bevor er sich zu seinen parsischen Glaubensbr­üdern an den Ganges absetzen kann. Die Sprache fällt nur manchmal aus der Rolle („Ey, wir können euch hören!“), die allgemeine Umarmung am Ende entfällt. Die Bühne von Stefan Hageneier zeigt nichts als eine Bodenwelle, deren obere Ebene aus dem Duisburger Parkett kaum einsehbar ist. Zum Ereignis wurde der dreistündi­ge Abend im fast ganz gefüllten Theater spätestens durch die sehr guten Schauspiel­er, auch wenn nicht alle gleich textverstä­ndlich agierten. Allen voran August Zirner als gelassener und eigentlich sogar illusionsl­oser Nathan in Blouson und Alltagshos­en. Vorzüglich auch Pascal Fligg als Sa- ladin, wie ein Mullah mit der Gestik eines Rappers, und Pola Jane O’Mara als Nathans niedliche Tochter Recha. Das Duisburger Publikum zeigte sich beeindruck­t, bewegt und begeistert.

Das Theatertre­ffen geht weiter am heutigen Donnerstag, 16. März, um 20 Uhr, im Foyer III unter dem Dach des Hauses, mit einer Premie- re des Duisburger Theater-Jugendclub­s „Spieltrieb“. Der einstündig­e Monolog „Name: Sophie Scholl“von Rike Reiniger wird gespielt von Hanna Kertesz und inszeniert von Marie-Kristin Pankrath.

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