Missbrauch: Adriana Stern durchbricht das Schweigen
Die Autorin möchte das Thema sexueller Missbrauch von Jungen in die Öffentlichkeit bringen und las jetzt vor einer Schulklasse vor.
„Jeder glaubt, er sei schuld, aber in Wirklichkeit sind nur diese Männer schuld, die so etwas Grausames tun“, sagt Adriana Stern und beendet so die Lesung aus ihrem Roman „Jockels Schweigen“vor der Klasse 9 a des Mercator-Gymnasiums. Mit dem Roman möchte sie das Schweigen über sexualisierte Gewalt gegen Jungen durchbrechen. „Das passiert so häufig und niemand redet darüber“, sagt sie. „Jockels Schweigen“erzählt die Geschichte des kleinen Jungen Joachim, der davon träumt, ein berühmter Schauspieler zu werden, und deshalb eine Casting-Agentur aufsucht. Dieses als Filmagentur getarnte Unternehmen entpuppt sich im Laufe der Geschichte als ein Netzwerk von Pädophilen. Aus der Perspektive des großen Bruders David werden die Leser für frühe Anzeichen sexualisierter Gewalt sensibilisiert und informiert, ohne den jungen Leser dabei zu überfordern.
Durch eine Buchspende des Lions Club Duisburg-Concordia ist die Klasse auf das Buch aufmerksam geworden. Das Verlagshaus Jacoby & Stuart aus Berlin hatte 500 Bücher unterschiedlicher Autoren auf Initiative der „SelbstLos!“-Kulturstiftung dem Lions-Club für die Duisburger Schulen kostenlos überlassen. Unter den Büchern hat die Schüler vor allem der Roman „Jockels Schweigen“bewegt, so dass sie diesen als Klassenlektüre vorschlugen und Kontakt zu der Autorin aufnahmen. „Ich habe mir dann bei der Buchspende Jockels Schweigen mitgenommen und hier in der Klasse vorgeschlagen“, erzählt Marylon Spitzer, die ihren Buchtipp der Klasse präsentierte.
Im Rahmen des Unterrichts erstellten die Schüler in kleinen Gruppen Charakterisierungen der Protagonisten und präsentierten diese auf Plakaten. Am Ende der Unterrichtsreihe stand eine Klassenarbeit an. Die Klassenlehrerin Kerstin Zander hatte die Befürchtung, dass die Analysen und die Klassenarbeit den Schülern das Buch vermiese. Der 14-jährige Elia Hierling stimmt nickend zu: „Die Analyse hat das Buch zerstört und es langweilig gemacht.“Aber es gibt auch andere Stimmen unter den Schülern. So sagte Mia Baden, dass das Buch nach Beendigung der Unterrichtsreihe immer noch spannend finde und die Analysen und Besprechungen es noch verständlicher gemacht hätten. Die Autorin zeigt sich beeindruckt vom offenen Umgang des Klassenverbandes mit dem oftmals tabuisierten Thema des sexuellen Missbrauchs von Jungen. Auf die Frage, warum dies so sei, entgegnet die Schülerin Emma Heinbach „in unserer Klasse ist das nicht so das Problem offen zu reden“. Insgesamt zeigen sich die Schüler sehr interessiert am Thema und lauschen gespannt der Autorin. Nach der 45-minütigen Lesung fragen Schüler, wie Andrea Stern dazu gekommen sei das Buch zu schreiben. Vor einigen Jahren, so Adriana Stern, habe sie in der Zeitung einen Artikel über einen Pädophilenring gelesen, der aufgrund von Beobachtungen eines aufmerksamen Nachbarn entdeckt worden sei. Sie sei schockiert darüber, dass über viele Jahre hinweg, derartige Gewalt mitten in unserer Gesellschaft geschehe und die missbrauchten Jungen im Schweigen versänken. „Dieses Schweigen wollte ich mit dem Roman durchbrechen.“Die Autorin hat als Sozialar- beiterin in verschiedenen Mädchenhäusern und Jugendzentren gearbeitet, wo sie den Eindruck gewann, dass sich Kinder und Jugendliche für nicht verschuldete Taten oft verantwortlich und schuldig fühlten. Um das Thema so realitätsnah wie möglich erscheinen zu lassen, hat sie sich von Vereinen aus dem Bereich der Prävention und Behandlung von Missbrauch beraten lassen. Trotz des ernsten Themas möchte sie den Leser mit einer spannungsorientierten Geschichte fesseln. „Bücher müssen spannend sein. Alle meine Bücher haben auch ein Happy-End, das zeigen soll, dass die Jugendlichen die Situation meistern können.“
Nach der Besprechung leitet Adriana Stern einen Schreibworkshop, der die Schüler dazu ermutigt, eigene Geschichten auf Papier zu bringen. Der Skepsis der meisten Schüler, eigene gute Texte verfassen zu können entgegnet sie mit einem überzeugten „traut Euch, Ihr schreibt nämlich richtig toll!“.