Rheinische Post Duisburg

Bloß nicht festlegen

- VON KARIN WILCKE

Haben Sie mal versucht, sich mit einem Teenager zu verabreden? Das ist fast unmöglich. Alle haben heute ein Smartphone mit Terminkale­nder und Erinnerung­sfunktion, doch trotzdem bedarf es etlicher weiterer Abstimmung­en und Rückversic­herungen per Whatsapp, bis dann schließlic­h der Termin doch kurzfristi­g abgesagt wird. In meiner Generation, noch ganz ohne Handy, reiste man gern nach dem Abi per Interrail durch Europa. Wir hatten uns an einem bestimmten Tag mittags um zwölf auf der Piazza del Campo in Siena verabredet, und, was glauben Sie, wir waren natürlich vollzählig dort. Heute undenkbar.

Die große Scheu vor festen Verabredun­gen scheint einherzuge­hen mit einer generellen Abneigung, sich festzulege­n. Ganz gleich, ob Abendprogr­amm, Urlaub, Freund/ Freundin, Studium oder Beruf, immer scheint es noch eine bessere Möglichkei­t, einen attraktive­ren Menschen oder ein interessan­teres Studienfac­h zu geben. Und das schon hinter der nächsten Ecke oder in den nächsten Minuten. Und bevor man das verpasst, so der Gedanke, legt man sich besser gar nicht fest. Ein auf diese Weise selbst versautes Wochenende ist sicher leicht zu verschmerz­en; die verpasste Reise, zu der die anderen ohne einen aufbrechen, weil man sich nicht entscheide­n konnte, tut schon mehr weh. Ganz blöd wird es, wenn man in der Hoffnung auf ein noch tolleres Angebot einen Studien- oder Ausbildung­splatz nicht rechtzeiti­g annimmt. Schuld sind, glaube ich, amerikanis­che Filme, in denen es immerzu um die eine einzig wahre Liebe, die einzige Berufung geht, die man im Leben finden muss. Leute, das ist ein HollywoodM­ärchen. Im wahren Leben gibt es für jeden von uns mehr als einen Menschen zum Lieben und mehr als einen Beruf, mit dem man sehr glücklich werden kann. Man muss sich nur mal festlegen.

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