„Liebe kennt kein Alter“
Berührende Geschichten: Paare erzählen im Seniorenheim, wie sich die Liebe verändert, wenn der Partner erkrankt.
SÜDEN Fünf Tage haben es Werner Rossol und seine Frau Wilma in einem Doppelzimmer im Awo-Seniorenheim Im Schlenk ausgehalten. „Es ging nicht mehr“, erzählt der 83Jährige mit Tränen in den Augen. Seine Frau ist dement. Ihr Schlafund Lebensrhythmus hatte sich so geändert, dass Rossul um ein eigenes Zimmer bat. Seit acht Jahren sind die beiden verheiratet, zusammen leben sie seit mehr als 40 Jahren.
„Ihre Mutter war dement, die Schwester auch“, erklärt Werner Rossol. Zunächst hat er seine Frau zu Hause betreut. Doch als er selbst Diabetes bekam und ins Krankenhaus musste, wollte er gar nicht im Hospital bleiben. „Jemand muss sich doch um meine Frau kümmern“, sagte er. Das Ehepaar fand einen verständnisvollen Arzt und bekam ein Doppelzimmer. Schließlich bat er einen Bekannten, nach einer Unterbringung im Heim Ausschau zu halten. Keine leichte Entscheidung. Natürlich besucht er sie jeden Tag. „Sie erkennt mich und freut sich, wenn ich komme.“Dann wieder ist sie eifersüchtig, wenn er sich mit anderen Damen unterhalte. Und wenn er wieder auf seine Station zurückkehre, will sie ihn nicht gehen lassen. Neben Werner und Wilma Rossul leben neun weitere Paare in dem Heim, das insgesamt 104 Bewohner hat.
„Schatzi, da bist du ja endlich“, wird Ilona Schatz von ihrem Mann begrüßt. Die beiden hatten schon als Jugendliche geturtelt, sie war 18, er zehn Jahre älter, verliebten sich aber in andere Partner. Durch Zufall haben sie sich später wieder gefunden. Die Hochzeit war vor sechs Jahren. Heinz Schmidt erkrankte früh an Demenz. Er war viele Jahre lang Fußball-Trainer. Später stattete er als Geschäftsmann Mannschaften aus. „Mir ist das erst gar nicht aufgefallen“, erzählt die 59-Jährige. Manchmal vergaß er, wo das Auto geparkt war. „Da mussten wir sogar die Polizei um Hilfe bitten.“Unnöti- ge Bestellungen häuften sich, er entwickelte einen Bewegungsdrang. „Das war eine sehr schwere Zeit. Ich habe immer nur mit einem Auge geschlafen, weil ich dachte, ihm könnte was passieren“, beschreibt Ilona Schatz.
Freunde und Bekannte verstanden nicht, was mit ihm plötzlich los ist. Anrufe wurden seltener. Ilona Schatz pflegt ihn, kümmert sich. Manchmal wird er aggressiv. „Aber nach fünf Minuten hat man das ver- gessen, man will dem Partner etwas Gutes tun.“Zweimal pro Woche bringt sie ihn in die Tagespflege. Als sie schließlich selbst an Krebs erkrankt, muss sie sich eingestehen, dass sie keine Kraft mehr hat, alleine für ihn zu sorgen.
Dass sie ihn in guten Händen weiß, hilft ihr. „Liebe kennt kein Alter“, sagt sie. „Liebe hat auch etwas mit Selbstliebe zu tun. Man muss gut für sich sorgen, damit man für den Partner da sein kann“, weiß Jut- ta Muntoni vom Sozialen Dienst des Seniorenzentrums. Egal, was im Kopf passiere: „Das Herz wird nicht dement.“
Anna Noch war 79, als sie ihrem Lebensgefährten vorgestellt wurde. Eine Bekannte aus dem Kleingartenverein hat sie angesprochen. „Du bist immer so allein.“Und weil der Mann weder rauchte noch trank und ein Boot im Uerdinger Hafen liegen hatte, willigte sie für ein Treffen ein.
Beim Rendezvous war sie so aufgeregt, dass ihr das Stück Schwarzwälder Kirschtorte herunterfiel. Machte nichts, die beiden waren sich sympathisch. Mal war sie eine Woche in Uerdingen, dann kam er nach Duisburg. „Wir sind viel gereist, hatten eine schöne Zeit. Gut, dass wir das gemacht haben.“Vor fünf Jahren erlitt Heinz-Werner Reif einen Schlaganfall.
Anna Noch fährt jeden Tag zu ihm in die Reha nach Kettwig – mit Bus und Bahn. Sie organisiert, dass er in ein Heim kommt, löst die Wohnung auf. „In der Zeit habe ich viel abgenommen“, sagt sie.
Ihre Tochter schimpfte schon, dass sie sich so aufopfert. „Aber ich kann ihn doch nicht im Stich lassen“, sagt sie und nimmt seine Hand. Also besucht sie ihn jeden Tag. „Und wenn ich mal einen Tag nicht kann, dann habe ich am nächsten richtiges Verlangen danach, ihn zu sehen.“