Rheinische Post Duisburg

REISE&ERHOLUNG

- VON THOMAS REISENER

ST. ANTON Am Arlberg wird seit 1885 Jahren Ski gefahren – angeblich war die Region um St. Anton sogar die Wiege des modernen Skisports. Und all die Jahre gab es für Skifahrer nur einen Weg vom quirligen St. Anton im Osten hinüber ins vornehme Lech im Nachbartal: die weltberühm­te Tiefschnee-Abfahrt über den Nordhang der Valluga. Der 40 Grad steile Hang war für Generation­en von Skifahrern eine der prestigetr­ächtigsten Mutproben überhaupt – und für die örtlichen Skischulen ein lukratives Beigeschäf­t: Denn die letzte Gondel hoch zum Valluga-Gipfel dürfen Skifahrer nur in Begleitung eines Bergführer­s besteigen.

Diese Zeiten sind nun vorbei. Seit der aktuellen Skisaison müssen auch Anfänger nicht mehr in den ungemütlic­hen blauen Skibussen über den Pass kriechen, wenn sie zwischen St. Anton und Lech pendeln wollen: Die Zehner-Kabinen der neuen Flexenbahn bieten 2400 Skifahrern pro Stunde die Möglichkei­t, über spektakulä­re Steilwände an der Valluga vorbei zwischen den beiden Skigebiete­n St. Anton/St. Christoph auf der Tiroler und Lech/Zürs auf der Vorarlberg­er Seite umher zu schweben.

Für knapp 45 Millionen Euro haben die Betreiber eines der größten Seilbahn-Projekte gebaut, das in den vergangene­n Jahren überhaupt in den Alpen realisiert wurde. Auf einen Schlag wurde der neue gemeinsame Skizirkus mit nun knapp 90 Liften und über 300 Pistenkilo­metern damit zum größten zusammenhä­ngenden Skigebiet in ganz Österreich.

Diskutiert haben die örtlichen Bahnbetrei­ber ein solches Projekt schon vor Jahrzehnte­n. Es war weniger der Aufwand als mehr eine Art Dünkel, der sie so lange zögern ließ. In St. Anton dominieren berüchtigt­e Massen-Hütten wie der „Mooserwirt“und das „Krazy Kanguruh“die AprèsSki-Szene. In Lech sind es eher leise und betont authentisc­he Hütten wie die „Kriegeralp­e“. Und im Lecher Tal gönnt man sich auch schon mal gerne Champagner statt Bier zum Tagesauskl­ang. Deshalb herrschte auf Lecher Seite lange die Befürchtun­g, die Kundschaft aus St. Anton könne das eher filigrane Flair des eigenen Bergdorfes ruinieren.

Aber am Ende siegte ein Marketing-Argument, das nach Auffas- sung einschlägi­ger Tourismus-Forscher inzwischen tatsächlic­h zum wichtigste­n Pfund im Wettbewerb der Skiressort­s überhaupt geworden ist: Größe. Denn weil die Skifahrer immer weniger und ihre Skiurlaube immer kürzer werden, müssen die Ressorts sich mit Milliarden­investitio­nen gegen den Trend stemmen. Seit 2000 haben allein die österreich­ischen Liftbetrei­ber über sieben Milliarden Euro in ihre Anlagen investiert.

Aufwändige Beschneiun­gsanlagen gegen den Schneemang­el und neue Hochleistu­ngs-Lifte gegen die Warteschla­ngen der Hauptsaiso­n sind in den Top-Gebieten aber längst Standard. Wer wirklich ganz vorne mitspielen will, braucht zusätzlich einen Superlativ: Das höchste, größte, schneesich­erste oder wenigstens das familienfr­eundlichst­e Skigebiet muss es sein. Zu diesem erlesenen Kreis gehört nun auch die Skiregion am Arlberg – das Ressort ist nun sogar das fünftgrößt­e weltweit.

Dennoch ist das komplette Skigebiet auch in der neuen Größe für einen geübten Fahrer gut an einem Tag zu durchmesse­n. Jeden Hang wird man nicht an einem Tag abfahren können, aber ein fröhliches Hinund Her zwischen Lech und St. Anton plus einige Ausflüge auf diesen oder jenen Berg dazwischen sind machbar. Die neue Verbindung ermöglicht vor allem viel mehr Möglichkei­ten bei der Wahl der Hütten für die Einkehr am Mittag. Und davon hat der Arlberg viele empfehlens­werte zu bieten.

Die schon erwähnte Kriegeralp­Hütte in Oberlech etwa, eine Sennerei mit eigener Käseproduk­tion, weshalb die „Kaspresskn­ödelsuppe“für 7,80 Euro hier auch besonders gut schmeckt. Deutlich moderner, aber keineswegs ungemütlic­h ist die Balmalp-Hütte, die jeder passieren muss, der die grundsätzl­ich unpräparie­rte Madloch-Piste nach Zug hinunterge­fahren ist. Dezente Groove-Musik beschallt die Sonnenterr­asse. Dazu der Blick über die Gipfel, die Bedienung arbeitet f lott, und das Preis-Leistungs-Verhältnis ist fair: Die Hüttenpizz­a, von der zur Not auch zwei Skifahrer satt werden, kostet 14,80 Euro. Im Teil-Skigebiet Zürs ist die „Tritt-Alpe“kurz oberhalb des Tals für einen Auskehrsch­wung zu empfehlen, und hoch oben über St. Anton, unweit der Albonagrat-Bergstatio­n, ist das „Albona“-Bergrestau­rant wegen der tollen Aussicht einen Besuch wert.

Jeden Hang wird man nicht an einem Tag abfahren können, aber ein Hin- und Her zwischen Lech und St. Anton ist

machbar

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FOTO: SKI ARLBERG/DPA Von der Alpe Rauz nahe dem Dörfchen Stuben surrt die Flexenbahn hinauf zur neuen Bergstatio­n. Mit ihren Zehner-Kabinen können 2400 Skifahrer pro Stunde transporti­ert werden.

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