Rheinische Post Duisburg

Die Ich-AG

- VON DOROTHEE KRINGS

Der Arbeitsmar­kt wird flexibler. Das bietet neue Chancen – erhöht aber den Druck, sich selbst umzutun. Der Einzelne wird zum Unternehme­r seiner selbst. Dazu gehört auch und vor allem die Selbstverm­arktung.

DÜSSELDORF Natürlich ist auch die Arbeitswel­t längst von dieser Flüchtigke­it erfasst, die zugleich Chance wie Ungewisshe­it bedeutet und das moderne Leben ausmacht. Arbeitsbio­grafien verlaufen nicht mehr nach erwartbare­n Mustern. Menschen landen nicht mehr „irgendwie“in Positionen, die ihnen sicher sind, gleichblei­bende Anforderun­gen stellen und dem Einzelnen das Gefühl geben, angekommen zu sein. Vielmehr muss der Arbeitnehm­er heute selbst im Blick haben, ob seine Leistungen den Anforderun­gen im Job entspreche­n. Er muss bereit sein, sich ständig anzupassen, sich selbst darum kümmern, wie er sich weiterentw­ickeln kann. Der Einzelne ist zum Unternehme­r seiner selbst geworden – das reicht von der Werbe- bis zur Entwicklun­gsabteilun­g der Ich-AG. Selbstverm­arktung und Eigenmanag­ment bei der Karrierepl­anung sind selbstvers­tändlicher Teil jedes qualifizie­rten Jobs.

Längst genügt es also nicht mehr, bloß seine Arbeit gut zu machen. Der Angestellt­e muss aus seiner eigentlich­en Rolle heraustret­en, sich selbst vermehrt in den Blick nehmen, muss seine Stärken und Schwächen kennen und beobachten, wie sich sein Berufsfeld entwickelt.

Angestellt­e, die sich f lexibel zeigen, die gut vernetzt sind und Aufbrüche wagen, können sich Job um Job in ein Feld vorarbeite­n, das ihnen optimal entspricht. Doch das verlangt Analysever­mögen, die Fähigkeit zur ehrlichen Selbstrefl­exion und Freude an einer gewissen Umtriebigk­eit. Es verlangt auch, sich nicht zu bescheiden zu geben, sondern herauszust­ellen, was man kann und wohin man will. Das liegt nicht jedem. Unabhängig von fachlicher Qualifikat­ion. Verkaufen hat in konsumkrit­ischen Zeiten ohnehin keinen guten Ruf. Da erscheint „Selbstverk­aufe“manchem als Zumutung. Der Einzelne wird gezwungen, sich selbst wie eine Ware zu behandeln und einen beachtlich­en Teil seiner Energie darauf zu verwenden, sich selbst in bestes Licht zu rücken und am eigenen Fortkommen zu feilen.

Karrierebe­rater sehen das anders: „Trommeln hat schon immer zum Handwerk gehört, Selbstverm­arktung ist nichts Neues“, sagt Michael Groß, mehrfacher Olympiasie­ger und Weltmeiste­r im Schwimmen, der heute eine Beratungsg­esellschaf­t für TalentMana­gement leitet. Selbstdars­tellung dürfe aber nicht zum Selbstzwec­k werden. „Selbstinsz­enierung ist im digitalen Zeitalter leichter geworden, jeder träumt davon, wenigstens für eine Minute Star zu sein, aber in der Karriere setzen sich am Ende immer noch Qualität und Substanz durch.“Dass das nicht immer gilt, räumt Groß ein. „Natürlich erleben auch die besten Leute, dass ihre Leistung mal keine Anerkennun­g findet, das gehört dazu.“Entscheide­nd sei die Reaktion darauf. Gestalter-Typen ärgerten sich eine begrenzte Zeit, suchten aber bald nach Auswegen.

Die zunehmende Flexibilit­ät auf dem Arbeitsmar­kt fordert aber nicht nur den netzwerken­den Mitarbeite­r. Auch die Unternehme­n müssen gerade jungen qualifizie­rten Mitarbeite­rn schnellere Möglichkei­ten zur Fortentwic­klung bieten. Denn die warten nicht lange am Fuße der alten Karrierele­iter. So gehen Unternehme­n dazu über, Nachwuchsk­räften Führungsau­fgaben in Projekten anzubieten. Dazu müssen sie nicht gleich Abteilungs­leiter werden. Die neuen Karrierewe­ge müssen aber im Unternehme­n vermittelt werden. Sonst fühlen sich Führungskr­äfte, die auf traditione­llem Weg aufstiegen, von den Jungen bedroht. So hat die Flexibilit­ät auf dem Arbeitsmar­kt auch auf Unternehme­rseite zu einem neuen Stra

tegiefeld ge- führt: dem Talent-Management.

Mit der Digitalisi­erung ergeben sich in allen Branchen neue Berufsbild­er, nicht alle sind erstrebens­wert. Der Einzelne ist also immer mehr gefordert, eigene Chancen zu sondieren, sich auf neue Anforderun­gen einzustell­en – den Überblick zu behalten. Die Zunahme an Burn-out-Fällen hat sicher auch mit dieser Zumutung zu tun. Im Zeitalter f lexibler Arbeitsver­träge fühlen sich viele den Anforderun­gen des globalisie­rten Arbeitsmar­ktes ausgeliefe­rt, ohne sich der Solidaritä­t einer selbstbewu­ssten Gruppe wie früher der Arbeitnehm­erschaft sicher sein zu können. Das gilt vor allem dann, wenn es mal nicht so läuft, wenn Krankheit, Alter, private Entwicklun­gen für Brüche im Werdegang sorgen. Die Absturzäng­ste, die auch Menschen bewegen, denen es wirtschaft­lich gut geht, und die immer mehr Einfluss auf den Ausgang von Wahlen bekommen, haben auch mit der schönen neuen Arbeitswel­t zu tun.

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